Ungeduld des Herzens.
bemerkte mein leises Überraschtsein und nahm es wie eine Gabe dar. Der alte Ton unserer unbesorgt-kameradschaftlichen Tage klang sofort auf, als sie mich einlud:
»Endlich! Endlich! Bitte, setzen Sie sich da gleich neben mich. Und, bitte, sprechen Sie nicht. Ich habe Ihnen etwas Entscheidendes zu sagen.«
Ich setzte mich, völlig unbefangen. Denn wie kann man verwirrt, wie verlegen bleiben, wenn jemand einem so hell, so freundlich zuspricht?
»Nur eine Minute hören Sie mich an. Und nicht wahr, Sie unterbrechen mich nicht?« Ich spürte, sie hatte diesmal jedes Wort überlegt. »Ich weiß alles, was Sie meinem Vater mitgeteilt haben. Ich weiß, was Sie für mich tun wollen. Und nun glauben Sie mir, bitte, Wort für Wort, was ich Ihnen verspreche: ich werde Sie nie – hören Sie, nie! – fragen, warum Sie das getan haben, ob bloß meinem Vater zuliebe oder wirklich für mich. Ob es bei Ihnen nur Mitleid war oder ... nein, unterbrechen Sie mich nicht, ich will es nicht wissen, ich will nicht ... ich will nicht mehr nachdenken und mich quälen und andere quälen. Genug, daß ich durch Sie wieder lebe und weiterlebe ... daß ich seit gestern erst begonnen habe, zu leben. Wenn ich geheilt werde, habe ich es nur einem zu danken, nur Ihnen. Nur Ihnen allein!«
Sie zögerte einen Augenblick, dann fuhr sie fort: »Und jetzt hören Sie, was ich meinerseits verspreche. Ich habe heute nacht alles durchdacht. Zum erstenmal habe ich alles klar wie ein Gesunder überlegt, nicht wie früher, da ich noch unsicher war, in Erregtheit und Ungeduld. Es ist wunderbar, jetzt begreif ich's erst, ohne Angst zu denken, wunderbar, ich kann nun zum erstenmal vorausfühlen, wie das ist, als normaler Mensch zu empfinden, und Ihnen, Ihnen allein verdanke ich dieses Vorgefühl. Ich will darum alles auf mich nehmen, was die Ärzte von mir verlangen, alles, alles, um ein Mensch zu werden aus dem Unding, das ich jetzt bin. Ich werde nicht nachgeben und nicht nachlassen, nun da ich weiß, was es gilt. Mit jeder Faser, mit jedem Nerv meines Leibes und jedem Tropfen meines Bluts werde ich mich mühen, und ich glaube, was einer so unbändig will, kann er von Gott erzwingen. Alles das tue ich für Sie, das heißt, um kein Opfer von Ihnen zu nehmen. Aber wenn es nicht gelingen sollte ... bitte nicht unterbrechen! ... oder auch, wenn es nicht ganz gelingt, wenn ich nicht ganz so gesund, so beweglich werde wiedie andern – dann fürchten Sie nichts! Dann trage ich alles mit mir selber aus. Ich weiß, es gibt Opfer, die man nicht annehmen darf und am wenigsten von einem Menschen, den man liebt. Falls also diese Kur versagen sollte, auf die ich alles setze – alles! – dann werden Sie nie mehr von mir hören, nie mich wiedersehen. Nie werde ich Ihnen dann zur Last sein, das schwöre ich Ihnen, denn ich will überhaupt niemanden mehr mit mir belasten und Sie am wenigsten. So – das war alles. Und nun kein Wort mehr! Uns bleiben bloß ein paar gemeinsame Stunden in den nächsten Tagen; die möchte ich versuchen ganz glücklich zu sein.«
Es war eine andere Stimme, mit der sie sprach, eine gleichsam erwachsene Stimme. Es waren andere Augen, nicht die unruhigen des Kindes mehr und nicht die zehrenden und begehrenden der Kranken. Es war, ich fühlte es, eine andere Liebe, mit der sie mich liebte, nicht die verspielte des Anfangs und nicht die gierig verquälte mehr. Und mit anderen Blicken sah auch ich sie an; nicht das Mitleid mit ihrem Mißgeschick bedrückte mich wie vordem, nicht ängstlich, nicht vorsichtig brauchte ich nunmehr zu sein, nur herzlich und klar. Ohne es selbst recht zu wissen, fühlte ich zum erstenmal wirkliche Zärtlichkeit zu diesem zarten, vom Vorglanz eines erträumten Glücks erhellten Mädchen. Ohne es zu spüren, ohne es bewußt zu wollen, rückte ich nahe zu ihr hin, um ihre Hand zu fassen, und nicht wie damals erbebte sie sinnlich bei dieser Berührung. Still und gewährend fügte sich das kühle schmale Gelenk in meine Umfassung, und ich fühlte beglückt, wie friedsam der kleine Hammer des Pulses pochte.
Dann sprachen wir ganz unbefangen von der Reise und kleinen alltäglichen Dingen, wir plauderten über das, was in der Stadt, was in der Kaserne geschehen. Ich begriff nicht mehr, daß ich mich hatte quälen können, wo dochalles so einfach war: man saß bei einem Menschen und hielt seine Hand. Man verkrampfte sich nicht und versteckte sich nicht, man zeigte, daß man es herzlich miteinander meinte, man wehrte sich nicht
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