Ungeduld des Herzens.
Immer unruhiger lauschte ich über das Geschwätzdes alten Mannes hinweg. Was ging dort vor hinter der geschlossenen Tür? Warum war der Friede gebrochen, mein Friede, der Gottesfriede dieses Tags? Was wollte Edith so herrisch, was wollte die andere verhindern? Damit einmal tappte jenes widrige Geräusch, das Tok und Tok, das Tok und Tok der Krücken. Um Gottes willen, sie wird doch nicht ohne Josefs Hilfe mir nachkommen wollen? Aber schon tokte es hastig hölzern heran, tok ... tok, rechts, links ... tok, tok ... rechts, links, rechts, links – unwillkürlich dachte ich mir den schwankenden Körper dazu – ganz nah mußte sie jetzt schon hinter der Tür sein. Dann ein Poltern, ein Ruck, als ob sich eine dumpfe Masse gegen die Türflügel geworfen hätte. Dann ein Keuchen von heftiger Anstrengung, und aufknackte, gewalttätig niedergedrückt, die Klinke.
Furchtbarer Anblick! An dem Türpfosten lehnte, noch erschöpft von der Anstrengung, Edith. Mit der linken Hand klammerte sie sich an den Pfosten grimmig an, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, in der rechten Faust hielt sie die beiden Krücken zusammengefaßt. Hinter ihr drängte, sichtlich verzweifelt, Ilona, die sie offenbar stützen oder mit Gewalt zurückhalten wollte. Aber Ediths Augen blitzten voll Ungeduld und Zorn. »Laß mich, laß mich, hab ich dir gesagt«, schrie sie die lästige Helferin an. »Niemand braucht mir zu helfen. Ich kann's schon allein.«
Und dann geschah, ehe Kekesfalva oder der Diener recht zur Besinnung gekommen waren, das Unglaubwürdige. Die Gelähmte biß die Lippen zusammen wie vor einer ungeheuren Anstrengung; mit aufgerissenen, brennenden Augen auf mich blickend, stieß sie sich, wie ein Schwimmer vom Strand, mit einem einzigen Ruck von dem Türpfosten ab, der ihr Halt geboten, um mir ganz frei und ohne Krücken entgegenzugehen. Im Augenblick des Abstoßens schwankte sie, als fiele sie ins Leere des Raumes hinein, aber rasch schwenkte sie die beidenHände, die freie und die rechte, mit der sie die Krücken hielt, hoch, um das Gleichgewicht zu finden. Dann biß sie nochmals die Lippen zusammen, stieß den einen Fuß vor und schlurfend den andern nach; wie das Zucken einer Marionette durchriß dieses abgehackte Rechts und Links ihren Körper. Aber doch, sie ging! Sie ging! Sie ging, die aufgerissenen Augen einzig auf mich gerichtet, sie ging, als zöge sie sich an einem unsichtbaren Draht heran, die Zähne in die Lippen verpreßt, die Züge krampfig verzerrt! Sie ging, hin- und hergeworfen wie ein Boot im Sturm, aber sie ging, sie ging zum erstenmal allein ohne Krücken und Hilfe – ein Wunder des Willens mußte ihre toten Beine erweckt haben. Kein Arzt hat mir je erklären können, wieso die Gelähmte dies eine und einzige Mal vermochte, ihre ohnmächtigen Beine aus der Starre und Schwäche zu reißen, und ich vermag nicht zu beschreiben, wie es geschah, denn wir alle starrten versteinert hin auf ihre ekstatischen Augen; selbst Ilona vergaß, ihr zu folgen und sie zu behüten. Sie aber schwankte diese wenigen Schritte, wie gestoßen von einem inneren Sturm; es war kein Gehen, sondern gleichsam ein Flug nahe dem Boden, der tappende, tastende Flug eines Vogels mit zerschnittenen Schwingen. Jedoch der Wille, dieser Dämon des Herzens, stieß sie weiter und weiter. Schon ganz nahe war sie, schon streckte sie im Triumph des Vollbrachten die Arme, die bisher flügelnd das Gleichgewicht erhalten hatten, mir sehnsüchtig entgegen, die gespannten Züge lockerten sich bereits in ein überschwengliches Lächeln der Beglückung. Sie hatte es vollbracht, das Wunder – bloß zwei Schritte noch – nein, bloß ein einziger, ein letzter Schritt: beinahe fühlte ich schon den Atem aus ihrem im Lächeln aufbrechenden Mund – da geschah das Entsetzliche. Durch die sehnsüchtig heftige Bewegung, mit der sie im Vorgefühl der errungenen Umarmung vorzeitig die Arme ausbreitete, verlor sie das Gleichgewicht.Wie unter einem Sensenhieb knickten ihr jäh die Knie ein. Schmetternd fiel sie knapp vor meinen Füßen nieder, laut knatterten die Krücken auf die harten Fliesen. Und im ersten Riß meines Entsetzens wich ich unwillkürlich zurück, statt das Natürlichste zu tun, statt heranzustürzen und ihr aufzuhelfen.
Aber schon waren fast gleichzeitig Kekesfalva, Ilona und Josef herbeigesprungen, um die Stöhnende aufzuheben. Ich merkte (noch immer nicht fähig, hinzublicken), wie sie Edith gemeinsam wegtrugen. Nur das erstickte Schluchzen vernahm
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