Ungeduld des Herzens.
ich ihres verzweifelten Zorns, und die schlurfenden Schritte, die sich vorsichtig mit ihrer Last entfernten. In dieser einen Sekunde zerriß der Nebel der Begeisterung, der mir während dieses ganzen Abends den Blick verhängt hatte. Alles überblickte ich grauenhaft klar in diesem Aufblitz innerer Helligkeit; ich wußte, nie würde die Unselige völlig genesen! Das Wunder, das sie alle von mir erhofften, war nicht geschehen. Ich war nicht mehr Gott, sondern nur ein kleiner, ein kläglicher Mensch, der mit seiner Schwäche schurkisch schadete, mit seinem Mitleid verstörte und zerstörte. Genau, furchtbar genau war ich mir innerlich meiner Pflicht bewußt: jetzt oder nie war es Zeit, ihr die Treue zu halten. Jetzt oder nie müßte ich helfen, den andern nacheilen, mich zu ihr ans Bett setzen, sie beschwichtigen und belügen, herrlich sei sie gegangen, herrlich werde sie gesunden! Aber ich hatte keine Kraft mehr zu so verzweifeltem Betrug. Angst fiel über mich, eine grauenhafte Angst vor den furchtsam flehenden und dann wieder gierig verlangenden Augen, Angst vor der Ungeduld dieses wilden Herzens, Angst vor diesem fremden Unglück, das zu meistern ich nicht imstande war. Und ohne zu überlegen, was ich tat, griff ich nach Säbel und Kappe. Zum dritten-, zum letztenmal flüchtete ich wie ein Verbrecher aus dem Haus.
Luft jetzt, nur einen Atemzug Luft! Mir ist zum Ersticken. Liegt die Nacht hier so schwül zwischen den Bäumen oder macht das der Wein, der viele Wein, den ich getrunken? Widerlich eng klebt mir die Bluse am Leibe, ich reiße den Kragen auf, den Mantel möchte ich am liebsten wegwerfen, so schwer drückt er mir die Schultern. Luft, nur einen Atemzug Luft! Es ist, als wollte das Blut durch die Haut heraus, so heiß drängt und drückt es, und in den Ohren hämmert's: tok-tok, tok-tok – ist das noch der gräßliche Krückenton oder nur der Puls hinter den Schläfen? Und warum renne ich eigentlich so? Was ist denn geschehen? Ich muß versuchen zu denken. Was ist eigentlich geschehen? Langsam denken, ruhig denken, nicht hören auf dieses tok-tok, tok-tok! Also – ich habe mich verlobt ... nein, man hat mich verlobt ... ich wollte doch nicht, ich habe nie daran gedacht ... und jetzt bin ich verlobt, jetzt bin ich gebunden ... Aber nein ... es ist doch nicht wahr ... ich habe doch dem Alten gesagt, nur wenn sie geheilt wird, und sie wird doch nie geheilt ... Mein Versprechen gilt doch nur ... nein, es gilt überhaupt nicht! Nichts ist geschehen, gar nichts ist geschehen. Aber warum habe ich sie dann geküßt, auf den Mund geküßt? ... Ich wollte doch nicht ... Ach, dieses Mitleid, dieses verfluchte Mitleid! Immer haben sie mich damit wieder eingefangen, und jetzt bin ich gefangen. Ich habe mich regelrecht verlobt, beide waren sie dabei, der Vater und die andere und der Diener ... Und ich will doch nicht, ich will doch nicht ... was soll man da tun? ... Nur ruhig denken! ... Ah, ekelhaft, dieses ewige tok-tok, dieses tok-tok ... Immer wird das jetzt mir die Ohren zerhämmern, immer läuft sie mir nach mit den Krücken ... Es ist geschehen, unwiderruflich geschehen. Ich habe sie betrogen, sie haben mich betrogen. Ich habe mich verlobt. Man hat mich verlobt.
Was ist das? Warum taumeln die Bäume so durcheinander?Und die Sterne, wie das schmerzt und schwirrt – es muß etwas wirr sein in meinen Augen. Und wie das drückt auf den Kopf! Ah, diese Schwüle! Die Stirn müßte man irgendwo kühlen, dann könnte man wieder richtig denken. Oder etwas trinken, um dies Schlammige, Gallige aus der Kehle zu spülen. War nicht da vorne wo – ich bin doch so oft vorübergeritten – ein Brunnen am Weg? Nein, ich bin schon längst vorbei, wie ein Narr muß ich gerannt sein, darum dies Pochen an den Schläfen, das schreckliche Pochen und Pochen! Nur etwas trinken, dann könnte man sich vielleicht wieder besinnen. Endlich, bei den ersten niedrigen Häusern, blinzelt eine halbverhangene Scheibe mit gelbem Petroleumblick. Richtig – jetzt erinnere ich mich – das ist die kleine Vorstadtkneipe, wo die Fuhrleute am Morgen immer anhalten, um sich rasch noch mit einem Schnaps zu wärmen. Ein Glas Wasser dort verlangen oder mit etwas Scharfem oder Bitterem den Schleim aus der Kehle ätzen! Nur etwas trinken, was immer! Ohne zu überlegen, mit der Gier eines Verdurstenden, stoße ich die Tür auf.
Geruch von schlechtem Knaster schlägt mir stickig aus der halbdunklen Höhle entgegen. Rückwärts der Schank mit dem Fusel,
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