Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
vorn ein Tisch, an dem Straßenarbeiter sitzen beim Kartenspiel. Am Schanktisch lehnt, den Rücken mir zugewandt, ein Ulan und scherzt mit der Wirtin. Jetzt spürt er den Luftzug, aber kaum daß er sich umblickt, fährt ihm der Mund auf vor Schreck: sofort reißt er sich zusammen und klappt die Hacken. Warum erschrickt er so? Ach ja, wahrscheinlich hält er mich für einen Inspektionsoffizier, und er sollte wohl längst in der Klappe liegen. Auch die Wirtin blickt beunruhigt her, die Arbeiter halten inne in ihrem Spiel. Etwas muß an mir auffällig sein. Jetzt erst, zu spät, fällt mir ein: das ist zweifellos eines jener Lokale, wo nur Mannschaftspersonenverkehren. Ich als Offizier darf es gar nicht betreten. Instinktiv mache ich kehrt.
    Aber bereits drängt die Wirtin ehrerbietig heran, womit sie mir dienen könne. Ich spüre, daß ich mein blindes Hereintappen entschuldigen muß. Mir sei nicht ganz wohl, sage ich. Ob sie mir ein Sodawasser geben könne und einen Slibowitz. »Bitte bitte«, und schon huscht sie weg. Eigentlich will ich nur rasch am Schanktisch die beiden Gläser hinunterschütten, aber da beginnt auf einmal die Petroleumlampe in der Mitte zu schaukeln, die Flaschen am Gestell zucken lautlos auf und nieder, der gedielte Boden unter den Stiefeln wird plötzlich weich und schwingt und schlingert, daß ich taumle. Hinsetzen, sage ich mir; so schwanke ich mit letzter Kraft noch an den leeren Tisch, das Sodawasser wird gebracht, ich schütte es mit einem Guß hinab. Ah, kalt und gut – für einen Augenblick weicht der brecherische Geschmack. Jetzt noch rasch den scharfen Fusel nachgegossen und dann aufgestanden. Aber ich kann nicht; mir ist, als seien die Füße in den Boden hineingewachsen, und der Kopf dröhnt mir merkwürdig dumpf. Noch einen Slibowitz bestelle ich. Dann noch eine Zigarette und rasch fort!
    Ich zünde die Zigarette an. Bloß einen Augenblick sitzenbleiben, den dösigen Kopf in beide Hände gestützt, und denken, nachdenken, durchdenken, eins nach dem andern. Also – ich habe mich verlobt ... man hat mich verlobt ... aber das gilt doch nur ... nein, kein Ausweichen, das gilt, das gilt ... ich habe sie auf den Mund geküßt, freiwillig habe ich's getan. Aber doch nur, um sie zu beruhigen, und weil ich wußte, daß sie nie geheilt wird ... sie ist doch eben wieder hingefallen wie ein Stock ... so jemanden kann man doch gar nicht heiraten, das ist doch keine wirkliche Frau, das ist doch ... aber sie werden mich nicht lassen, nein, die geben mich nicht mehr frei ... der Alte, der Djinn, der Djinn, der Djinn mitdem melancholischen Biedermanngesicht und der goldenen Brille, der krampft sich an mich an, der läßt sich nicht abschütteln ... immer hält er mich am Arm, immer wird er mich zurückzerren an meinem Mitleid, meinem verfluchten Mitleid. Morgen erzählen sie's schon herum in der ganzen Stadt, in die Zeitung werden sie's setzen, und dann gibt's kein Zurück ... Ob's nicht besser wäre, vielleicht schon jetzt die zu Haus vorzubereiten, damit's die Mutter, der Vater nicht von andern oder gar aus der Zeitung erfahren? Ihnen erklären, warum und wieso ich mich verlobt habe, und daß es nicht so eilig ist und nicht so gemeint war, daß ich mich nur aus Mitleid in die ganze Sache eingelassen habe ... Ah, dieses verfluchte Mitleid, dieses verfluchte Mitleid! Und schon gar im Regiment werden sie's nicht verstehen, kein einziger von den Kameraden. Was hat der Steinhübel nur gesagt vom Balinkay? »Wenn man sich verkauft, soll man sich wenigstens teuer verkaufen ...« Oh, Gott, was werden die angeben – ich begreif's doch selber nicht recht, wieso ich mich verloben konnte mit dem ... mit diesem hinfälligen Geschöpf ... Und erst, wenn die Tant' Daisy das erfährt, die ist gefinkelt, die läßt sich nichts vormachen, die kennt keinen Spaß. Die läßt sich nichts vorschwindeln von Adel und Schlössern, die schaut gleich im Gotha nach, in zwei Tagen hat sie's heraus, daß der Kekesfalva früher der Lämmel Kanitz war und Edith eine Halbjüdin ist, und der wär nichts grauslicher auf der Welt als Juden in der Verwandtschaft ... Mit der Mutter, da ging's schon, der wird das Geld imponieren – sechs Millionen, sieben Millionen, hat er gesagt ... Aber ich pfeif auf sein Geld, ich denk doch nicht dran, sie wirklich zu heiraten, nicht für alles Geld auf der Welt ... Ich hab's doch nur versprochen, wenn sie geheilt wird, nur dann ... aber wie soll man ihnen das klarmachen ... alle im Regiment

Weitere Kostenlose Bücher