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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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spielten Schach, um die Zeit zu vertreiben, und es dauerte noch eine gute Weile, ehe die ungeduldig erwarteten Schritte sich im Nebenzimmer hören ließen. Endlich traten Kekesfalva und Doktor Condor in lebhaftem Gespräch herein, und ich mußte hart an mich halten, eine gewisse Betroffenheit zu unterdrücken, denn mein erster Eindruck, als ich diesem Doktor Condor gegenüberstand, war der einer großen Enttäuschung. Immer arbeitet ja, wenn uns von einem Menschen, den wir noch nicht kennen, viel und Interessantes berichtet wird, unsere visuelle Phantasie sich im voraus ein Bild aus und verwendet dazu verschwenderisch ihr kostbarstes, ihr romantischestes Erinnerungsmaterial. Um mir einen genialen Arzt, als den Kekesfalva mir Condor doch geschildert hatte, vorzustellen, hatte ich mich an jene schematischen Merkmale gehalten, mit Hilfe derer der Durchschnittsregisseur und Theaterfriseur den Typus »Arzt« auf die Szene stellt: durchgeistigtes Antlitz, scharf und durchdringend das Auge, überlegen die Haltung, blitzend undgeistreich das Wort – rettungslos fallen wir ja immer wieder dem Wahn anheim, die Natur zeichne besondere Menschen durch eine besondere Prägung schon für den ersten Blick aus. Einen peinlichen Magenstoß empfand ich darum, als ich mich unversehens vor einem untersetzten, dicklichen Herrn, kurzsichtig und glatzköpfig, den zerdrückten grauen Anzug mit Asche bestäubt, die Krawatte schlecht gebunden, zu verbeugen hatte; statt des vorgeträumten, scharf diagnostizierenden Blicks kam mir hinter einem billigen Stahlkneifer ein ganz lässiger und eher schläfriger entgegen. Noch ehe Kekesfalva mich vorgestellt hatte, reichte Condor mir eine kleine, feuchte Hand und wandte sich bereits wieder weg, um beim Rauchtisch eine Zigarette anzuzünden. Faul reckte er die Glieder.
    »So, da wären wir. Aber daß ich's Ihnen gleich gestehe, lieber Freund, ich habe einen furchtbaren Hunger; es wäre famos, wenn wir bald zu essen kriegten. Falls das Diner noch nicht funktioniert, kann mir Josef vielleicht irgend eine Kleinigkeit vorausschicken, ein Butterbrot oder was immer.« Und, breit sich niederlassend im Fauteuil: »Jedesmal vergeß ich von neuem, daß grad dieser Nachmittagsschnellzug keinen Speisewagen hat. Wieder einmal eine echt österreichische Staatsgleichgültigkeit ...« Und: »Ah, bravo«, unterbrach er sich, als der Diener die Schiebetür des Speisezimmers zurückschob, »auf deine Pünktlichkeit kann man sich verlassen, Josef. Dafür werd ich auch eurem Herrn Oberkoch Ehre antun. Ich bin heut durch die verdammte Hetzerei nicht einmal dazugekommen, Mittag zu essen.«
    Zugleich stapfte er kurzerhand hinüber, setzte sich, ohne auf uns zu warten, und begann mit vorgestopfter Serviette eiligst – mir etwas zu laut – die Suppe zu schlürfen. Weder an Kekesfalva noch an mich richtete er während dieser dringlichen Betätigung ein Wort. Einzigdas Essen schien ihn zu beschäftigen, und sein kurzsichtiger Blick visierte gleichzeitig die Weinflaschen.
    »Ausgezeichnet – euer famoser Szomorodner und ein siebenundneunziger dazu! Den kenn ich vom letztenmal. Für den allein sollt man schon zu euch hinausrasseln. Nein, Josef, noch nicht einschenken, lieber ein Glas Bier zuerst ... ja, danke.«
    Mit einem großen, langen Schluck leerte er das Glas und begann dann, von der rasch servierten Platte sich kräftige Stücke auf den Teller holend, langsam und behaglich zu kauen. Da er unser Vorhandensein überhaupt nicht zu bemerken schien, blieb mir Zeit, den Schmausenden von der Seite her zu beobachten. Enttäuscht konstatierte ich an diesem so begeistert gerühmten Manne das bürgerlichste, behäbigste Gesicht, vollmondrundlich und von kleinen Grübchen und Pusteln durchkratert, kartofflig die Nase, verschwommen das Kinn, rötlich und von starker Bartspur beschattet die Backen, kuglig und kurz der Hals – ganz und gar das, was die Wiener dialektisch einen »Sumper« nennen, einen gutmütig, brummligen Genießer. Genau so behaglich saß und aß er auch, die Weste verknüllt und halb aufgeknöpft; allmählich bekam die beharrliche Behäbigkeit, mit der er kaute, etwas Aufreizendes für mich – mag sein, weil ich mich erinnerte, wie zuvorkommend höflich an dem gleichen Tisch der Oberstleutnant und jener Fabrikant mich behandelt hatten, vielleicht aber auch, weil ich ein gewisses Bedenken empfand, ob man einem so opulenten Schmauser und Trinker, der immer den Wein erst gegen das Licht hob, ehe er ihn mit

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