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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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daß er eine ganze Reihe Verwandte unterstützte und den Bruder studieren ließ. Die einzige wesentliche Anschaffung, die er sich überhaupt für seine Person geleistet hatte, war ein schwarzer Rock und jene Ihnen wohlbekannte vergoldete Doublébrille, mittels welcher er sich bei den Bauern das Ansehen eines ›Studierten‹ erwarb. Aber als er schon längst wohlhabend war, gab er sich vorsichtigerweise noch immer als der kleine Agent aus. Denn ›Agent‹ ist ein wunderbares Wort, ein weiter Mantel, hinter dem man alles mögliche verstecken kann, und Kekesfalva versteckte dahinter vor allem die Tatsache, daß er längst nicht mehr der Vermittler, sondern längst schon Geldgeber und Unternehmer war. Ihm schien es viel wichtiger und richtiger, reich zu werden, als für reich zu gelten (als hätte er Schopenhauersweise Paralipomena gelesen über das, was einer ist oder bloß vorstellt).
    Daß einer, der zugleich fleißig, klug und sparsam ist, über kurz oder lang zu Geld kommt, scheint mir aber keiner besonderen philosophischen Betrachtung bedürftig und außerdem nicht bewundernswert; wir Ärzte wissen schließlich am besten, daß in den entscheidenden Augenblicken einem Menschen sein Bankkonto wenig hilft. Wirklich imponiert hat mir bei unserem Kanitz vom Anfang an sein geradezu dämonischer Wille, zugleich mit seinem Vermögen auch seine Kenntnisse zu vermehren. Die ganzen Nächte auf der Bahn; jede freie Stunde im Wagen, im Gasthof, auf der Streife las und lernte er. Er studierte alle Gesetzbücher, Handelsrecht wie Gewerberecht, um sein eigener Anwalt zu sein, er verfolgte die Auktionen in London und Paris wie ein professioneller Antiquar und war versiert in allen Anlagen oder Transaktionen wie ein Bankier; so ergab es sich von selbst, daß seine Geschäfte allmählich immer größeren Stil annahmen. Von den Bauern kam er zu den Pächtern, von den Pächtern zu den großen aristokratischen Gutsbesitzern; bald vermittelte er den Verkauf ganzer Ernten und Wälder, belieferte Fabriken, gründete Konsortien, schließlich wurden ihm sogar gewisse Heereslieferungen zugeteilt, und nun konnte man den schwarzen Rock und die goldene Brille öfter und öfter in den Wartezimmern der Ministerien sehen. Aber noch immer – und er hatte damals vielleicht schon eine viertel, vielleicht eine halbe Million Kronen im Vermögen – hielten ihn die Leute hierzulande für einen unbeachtlichen Agenten, und man grüßte ›den‹ Kanitz auf der Gasse weiterhin höchst lässig zurück, bis er seinen großen Coup machte und mit einem Schlage aus Lämmel Kanitz der Herr von Kekesfalva wurde.«
    Condor unterbrach. »So! Was ich Ihnen bisher berichtete, weiß ich nur aus zweiter Hand. Diese letzte Geschichte aber weiß ich von ihm selbst. Er hat sie mir in der Nacht erzählt, als wir nach der Operation seiner Frau in einem Zimmer des Sanatoriums von zehn Uhr abends bis ins Morgengrauen warteten. Von hier an kann ich mich für jedes Wort verbürgen, denn in solchen Augenblicken lügt man nicht.«
    Condor nahm langsam und nachdenklich einen kleinen Schluck, ehe er sich eine neue Zigarre anzündete; ich glaube, es war schon die vierte an diesem Abend, und dieses unaufhörliche Rauchen fiel mir auf. Ich begann zu begreifen, daß die betont behäbig-joviale Art, mit der er als Arzt auftrat, daß sein langsames Sprechen und seine scheinbare Lässigkeit eine besondere Technik waren, um inzwischen ruhiger zu überlegen (und vielleicht zu beobachten). Dreimal, viermal zog seine dicke, fast schläfrige Lippe an der Zigarre, während er dem Rauch mit einer beinahe träumerischen Teilnahme nachblickte. Dann gab er sich plötzlich einen scharfen Ruck.
    »Diese Geschichte, wie Leopold oder Lämmel Kanitz der Besitzer und Herr von Kekesfalva wurde, beginnt in einem Personenzug von Budapest nach Wien. Obwohl schon zweiundvierzig Jahre alt und angegrauten Haars, verbrachte unser Freund in jenen Jahren die Nächte noch immer zumeist auf Reisen – Geizige sparen auch mit der Zeit –, und ich muß nicht betonen, daß er ausnahmslos dritter Klasse fuhr. Als alter Praktiker hatte er sich längst eine gewisse Technik für Nachtreisen zurechtgelegt. Zuerst breitete er einen schottischen Plaid, den er einmal billig bei einer Auktion erworben, auf der harten hölzernen Sitzbank aus. Dann hängte er seinen unvermeidlichen schwarzen Rock sorgfältig an den Haken, um ihn zu schonen, verstaute seine goldene Brille im Etui, nahm aus der leinernen Reisetasche – er

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