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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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kann's nicht ändern; erst viel später hat man auf Antrag eines Ministers den Namen so klangvoll magyarisiert und mit einem Adelsprädikat geschmückt. Sie haben sich wahrscheinlich nicht daran erinnert, daß ein Mann mit Einfluß und guten Verbindungen, der lange hier wohnt, peau neuve machen, sich den Namen magyarisieren und manchmal sogar sich adeln lassen kann. Schließlich – wie sollten Sie junger Mensch das wissen, es ist über dies schrecklich viel Wasser die Leitha hinabgelaufen, seit dieser Dreikäsehoch, dieser scharfäugige, verschmitzte Judenbub dort den Bauern auf Pferde oder Wagen achtgab, indes sie im Wirtshaus soffen, oder für eine Handvoll Kartoffeln den Marktweibern ihre Körbe nach Hause schleppte.
    Kekesfalvas oder vielmehr Kanitzens Vater war also keineswegs ein Magnat, sondern ein hundearmer, schläfengelockter jüdischer Pächter einer Branntweinschenke an der Landstraße knapp vor jenem Städtchen. Die Holzfäller und Kutscher hielten dort morgens und abends an, um sich vor oder nach der Fahrt durch den Karpathenfrost mit einem oder mehreren Gläsern siebziggrädigen Schnapses einzuheizen. Manchmal fuhr ihnen dabei das flüssige Feuer zu scharf in die Sinne; dann schlugen sie die Sessel und Gläser entzwei, und bei einem solchen Randal bekam Kanitzens Vater seinen tödlichen Knacks. Ein paar Bauern, die besoffen vom Markte kamen, begannen eine Keilerei, und als der Branntweinschenker, um seine kärgliche Einrichtung zu schützen, sie auseinanderzukriegenversuchte, schmiß einer, ein Riesenkerl von einem Kutscher, ihn so hart in die Ecke, daß er stöhnend liegenblieb. Von diesem Tage an spuckte er Blut, ein Jahr später starb er im Spital. Geld blieb keines zurück, die Mutter, eine tapfere Frau, brachte sich und die kleinen Kinder als Wäscherin und Hebamme durch. Nebenbei hausierte sie noch, und da trug ihr Leopold auf seinem Rücken die Packen nach. Außerdem kratzte er, wo er konnte, ein paar Kreuzer zusammen; beim Kaufmann half er als Laufjunge, von Dorf zu Dorf als Botengänger. In einem Alter, in dem andere Kinder noch vergnügt mit Glaskugeln spielen, wußte er schon genau, was alles kostet, wo und wie man kauft oder verkauft, wie man sich nützlich und unentbehrlich macht; überdies fand er noch Zeit, etwas zu lernen. Der Rabbiner unterrichtete ihn im Lesen und Schreiben, und er begriff so flink, daß er mit dreizehn Jahren schon gelegentlich als Schreiber bei einem Advokaten aushelfen konnte und den kleinen Krämern für ein paar Kreuzer ihre Eingaben und Steuerzettel verfaßte. Um Licht zu sparen – jeder Tropfen Petroleum bedeutete für den jämmerlichen Haushalt Verschwendung – saß er Nacht für Nacht bei der Signallampe des Wächterhäuschens – das Dorf hatte keine eigene Station – und studierte dort die zerrissenen und von andern fortgeworfenen Zeitungen. Schon damals schüttelten die Alten der Gemeinde billigend ihre Bärte und prophezeiten, aus diesem Jüngel würde etwas werden.
    Wie er es dann angefangen hat, von dem slowakischen Dorf wegzukommen und nach Wien, weiß ich nicht. Aber als er in seinem zwanzigsten Jahr hier in der Gegend auftauchte, war er bereits Agent einer angesehenen Versicherungsgesellschaft, und gemäß seiner Unermüdlichkeit legte er dieser seiner offiziellen Tätigkeit noch hundert kleine Geschäfte zu. Er wurde, was man in Galizien einen ›Faktor‹ nennt, ein Mensch, der mit allem handelt, allesvermittelt und überall zwischen Angebot und Nachfrage die Brücke spannt.
    Erst duldete man ihn. Bald begann man ihn zu bemerken und sogar schon zu brauchen. Denn er wußte von allem und kannte sich in allem aus; da war eine Witwe, die eine Tochter zu verheiraten suchte, sofort improvisierte er sich als Heiratsvermittler; dort einer, der nach Amerika auswandern wollte und dazu Auskünfte und Papiere brauchte: Leopold brachte sie zusammen. Außerdem kaufte er alte Kleider, Uhren, Antiquitäten, schätzte und tauschte Felder und Waren und Pferde, und wenn ein Offizier Bürgschaft benötigte, schaffte er sie herbei. Von Jahr zu Jahr erweiterten sich gleichzeitig seine Kenntnisse und sein Wirkungskreis.
    Mit solcher Unermüdlichkeit und Zähigkeit verdient man allerhand. Doch richtige Vermögen entstehen immer nur durch eine besondere Relation zwischen Einnahmen und Ausgaben, zwischen Verdienst und Verbrauch. Dies nun bildete das andere Geheimnis im Aufstieg unseres Freundes Kanitz, daß er in all den Jahren soviel wie gar nichts verbrauchte, außer

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