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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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natürlich auch –, daß man damit das Ende nur hinausschob, daß diese zwei, drei Jahre ein entsetzliches Zugrundegehen, ein elendes Verhungern inmitten einer Welt bedeuteten, die von Speisen und Getränken strotzt. Sie können sich denken, wie ich als Student, als zukünftiger Arzt, damals von einer Autorität zur andern lief, wie ich alle Bücher und Spezialwerke studierte. Aber überall antwortete mir mündlich und schriftlich das mir seitdem unerträgliche Wort ›unheilbar, unheilbar‹. Seit jenem Tage hasse ich dieses Wort, denn ich habe wach und untätig mitansehen müssen, wie der Mensch, den ich auf Erden am meisten liebte, elender zugrunde ging als irgend ein dumpfes Tier; er starb drei Monate vor meiner Promotion.
    Und jetzt hören Sie gut zu: vor ein paar Tagen in der Medizinischen Gesellschaft haben wir einen Vortrag von einem unserer ersten Chemikologen gehört, der uns informierte, in Amerika und in den Laboratorien einiger anderer Länder seien Versuche schon ziemlich weit gediehen, ein Drüsenextraktmittel zu finden; es sei gewiß, behauptete er, daß die Diabetes in einem Jahrzehnt eine ›erledigte‹ Krankheit sein werde. Nun, Sie können sich denken, wie mich der Gedanke erregt hat, daß es schon damals ein paar hundert Gramm dieser Substanz hätte geben können, und der liebste Mensch, den ich auf Erden hatte, wäre nicht gequält worden, wäre nicht gestorben, oder wir hätten wenigstens hoffen können, ihn zu heilen, zu retten. Verstehen Sie, wie mich damals das Verdikt ›unheilbar‹ erbitterte – ich hatte doch Tag und Nacht geträumt, es könne, es solle, es müsse ein Mittel gefunden,erfunden werden, einem werde es gelingen, vielleicht mir. Die Syphilis, die zur Zeit, als wir die Universität bezogen, uns Studenten ausdrücklich mit einem zur Warnung gedruckten Merkblatt als ›unheilbar‹ geschildert wurde, ist doch auch heilbar geworden. Nietzsche und Schumann und Schubert und, ich weiß nicht wer sonst noch von ihren tragischen Opfern, sind also keineswegs an einer ›unheilbaren‹ Krankheit gestorben, sondern an einer, die eben damals ›noch nicht heilbar‹ war – ja, sie sind, wenn Sie wollen, im zweifachen Sinne zu früh gestorben. Was bringt uns Ärzten jeder Tag Neues, Unverhofftes, Phantastisches, gestern noch Unausdenkbares! Jedesmal darum, wenn ich vor einem Fall stehe, wo die andern die Achseln zucken, zuckt mir das Herz vor Zorn, daß ich dieses Mittel von morgen, von übermorgen, noch nicht weiß, und es zuckt auch vor Hoffnung: vielleicht findest du es, vielleicht erfindet es einer noch im rechten, im letzten Augenblick für diesen Menschen. Alles ist möglich, auch das Unmögliche – denn wo unsere Wissenschaft von heute vor verrammelten Türen steht, ist oft rückwärts ganz unvermutet eine andere schon aufgegangen. Wo unsere Methoden versagen, muß man eben versuchen, eine neue zu erfinden, und wo die Wissenschaft nicht hilft, gibt es noch immer das Wunder – ja, wirkliche Wunder gibt es auch heute noch in der Medizin. Wunder bei schönstem elektrischem Licht, gegen alle Logik und Erfahrung, und manchmal kann man sie sogar provozieren. Glauben Sie, ich quälte dieses Mädchen und ließe mich quälen, wenn ich nicht hoffte, sie endlich entscheidend vorwärts, sie durchzubringen? Es ist ein schwerer Fall, ich gebe es zu, ein widerspenstiger Fall, seit Jahren komme ich nicht so rasch vorwärts, wie ich möchte. Aber dennoch und dennoch, ich lasse sie nicht aus der Hand.«
    Ich hatte angespannt zugehört; mir war alles klar, waser meinte. Aber unbewußt war die Insistenz, die Angst des alten Mannes in mich übergegangen. Ich wollte noch mehr hören, Bestimmteres, Präziseres. So fragte ich weiter:
    »Sie glauben also doch an eine Besserung – das heißt ... eine gewisse Besserung haben Sie ja schon erzielt?«
    Doktor Condor blieb stumm. Meine Bemerkung schien ihn zu verstimmen. Er stapfte mit seinen kurzen Beinen heftiger und heftiger.
    »Wie können Sie behaupten, daß ich eine gewisse Besserung erzielt habe? Haben Sie's konstatiert? Und was verstehen Sie überhaupt von der ganzen Sache? Sie kennen die Kranke doch erst ein paar Wochen lang, und ich behandle sie fünf Jahre.«
    Und plötzlich blieb er stehen. »Damit Sie es wissen, ein für allemal – gar nichts Wesentliches habe ich erzielt, nichts Definitives, und darauf kommt es doch an! Ich habe an ihr herumprobiert und herumkuriert wie ein Bader, ziellos, zwecklos. Gar nichts habe ich bis jetzt

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