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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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und wieder ruckhaft von böigen Windstößen aufgerüttelte Luft. Anders erschien die Stadt, anders wirkten die Straßen bei meinem raschen Rücklauf als vor wenigen Minuten, da sie noch angehaltenen Atems im bleichen Mondlicht gelegen. Nun klirrten und klapperten die Schilder wie geängstigt von einem drückenden Traum, unruhig polterten die Türen, stöhnten die Rauchfänge, in manchen Häusern erwachte neugieriges Licht, und dann sah man hier und dort einen Weißbehemdeten vorsorglich die Fenster vor dem kommenden Unwetter schließen. Die wenigen verspäteten Passanten jagten hastig, wie von einem Angstwind getrieben, an den Ecken vorbei, selbst der weiträumige Hauptplatz, sonst auch zur Nachtzeit einigermaßen belebt, lag völlig verlassen; mit dummem, weißem Blick glotzte die beleuchtete Rathausuhr in die ungewohnte Leere. Hauptsache aber: ich vermochte dank Condors Warnung rechtzeitig heimzukommen, ehe das Gewitter anhub. Nur zwei Straßenecken noch und quer durch den städtischen Vorgarten zurKaserne; dann konnte ich in meinem Zimmer all das Überraschende zu Ende denken, das ich in den letzten paar Stunden erfahren und erlebt.
    Der kleine Vorgarten unserer Kaserne lag völlig dunkel; dick und dicht preßte sich die Luft unter dem unruhigen Laub, manchmal zischelte eine kurze Windschlange zwischen den Blättern, dann fiel der erregte Laut in eine noch unheimlichere Stille zurück. Ich ging rascher und rascher. Beinahe hatte ich schon den Ausgang erreicht, da löste sich eine Gestalt hinter einem Baum und trat aus dem Schatten. Ich stutzte ein wenig, aber hielt keineswegs inne – ach, das war wohl nur eine der Huren, die hier im Dunkel auf die Soldaten zu passen pflegten. Doch zu meinem Ärger spürte ich einen fremden Schritt mir schleicherisch nachhasten, und gewillt, das freche Luder, das mich so unverschämt behelligte, grob anzufahren, wandte ich mich um. Und im Lichtschein eines Blitzes, der gerade in diesem Augenblick das Dunkel blinkend durchschnitt, sah ich zu meinem maßlosen Schrecken einen alten, schlottrigen Mann mir nachkeuchen, barhaupt der blanke Schädel, rund funkelnd die goldgeränderte Brille – Kekesfalva!
    Im ersten Aufstaunen glaubte ich mir selber nicht. Kekesfalva in unserem Kasernenpark – das war doch unmöglich, ich hatte ihn erst vor drei Stunden, gemeinsam mit Condor, in seinem Hause schwermüde verlassen. Halluzinierte ich oder war der alte Mann wahnsinnig geworden? War er im Fieber aufgestanden und irrte nun im dünnen Rock ohne Mantel und Hut nachtwandlerisch herum? Aber unverkennbar, er war es. Unter Hunderttausenden hätte ich die gedrückte, gebückte, verängstigte Art seines Heranschleichens erkannt.
    »Um Himmels willen, Herr von Kekesfalva«, staunte ich. »Wie kommen Sie hierher? Sind Sie denn nicht schlafengegangen?«
    »Nein ... oder eigentlich ... ich konnte nicht schlafen ... ich wollte noch ...«
    »Aber rasch jetzt nach Hause! Sie sehen doch, das Gewitter muß jeden Augenblick losbrechen. Haben Sie Ihren Wagen nicht hier?«
    »Dort drüben ... links von der Kaserne wartet er auf mich.«
    »Famos! Dann aber flink! Wenn er scharf fährt, bringt er Sie noch rechtzeitig heim. Kommen Sie, Herr von Kekesfalva.« Und da er zögerte, faßte ich ihn einfach unter dem Arm, um ihn fortzuziehen. Jedoch er löste sich gewaltsam los.
    »Gleich, gleich ... Ich fahre schon, Herr Leutnant ... aber ... aber sagen Sie mir erst: was hat er gesagt?«
    »Wer?« Meine Frage, mein Erstaunen war ehrlich. Über uns sauste immer wilder der Wind, die Bäume stöhnten und bogen sich, als sollten sie sich ihren Wurzeln entwinden, jeden Augenblick konnte der Regen niederprasseln, und ich dachte selbstverständlich nur an das Eine, das Natürlichste: wie den alten, offenbar geistesverwirrten Mann, der nichts von dem nahenden Unwetter zu merken schien, nach Hause schaffen! Aber er stammelte beinahe entrüstet:
    »Doktor Condor ... Sie haben ihn doch begleitet ...«
    Jetzt erst begriff ich. Selbstverständlich war diese Begegnung im Dunkel kein Zufall. Hier im Park knapp vor dem Kaserneneingang hatte der Ungeduldige gewartet, um nur rasch Gewißheit zu haben, hier knapp vor dem Eingang, wo ich ihm nicht entgehen konnte, hatte er mir aufgelauert. Zwei Stunden, drei Stunden war er in fürchterlicher Ruhelosigkeit auf und ab gegangen, kärglich verborgen in dem Schatten dieses schäbigen Kleinstadtgärtchens, wo sich nachts sonst nur die Dienstmädchen mit ihren Liebhabern trafen.

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