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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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heftiger ausschreitend, murrte er:
    »Natürlich! Darauf hätt ich eigentlich gefaßt sein müssen. Damit endet's immer. Heilbar oder unheilbar, schwarz oder weiß. Als ob das so einfach wäre! Schon ›gesund‹ und ›krank‹ sind zwei Worte, die ein anständiger Arzt guten Gewissens nicht aussprechen sollte, denn wofängt die Krankheit an und wo endet die Gesundheit? Und gar ›heilbar‹ und ›unheilbar‹! Natürlich, sie sind sehr usuell, diese beiden Ausdrücke, und man kommt in der Praxis kaum ohne sie aus. Aber mich werden Sie nie dazu bekommen, das Wort ›unheilbar‹ auszusprechen. Mich nie! Ich weiß, der gescheiteste Mensch des letzten Jahrhunderts, Nietzsche, hat das furchtbare Wort hingeschrieben: Am Unheilbaren soll man nicht Arzt sein wollen. Aber das ist so ziemlich der falscheste Satz unter all den paradoxen und gefährlichen, die er uns zum Auflösen gegeben. Genau das Gegenteil ist richtig, und ich behaupte: gerade am Unheilbaren soll man Arzt sein wollen, und mehr noch: nur am sogenannt Unheilbaren bewährt sich ein Arzt. Ein Arzt, der von vorneweg den Begriff ›unheilbar‹ akzeptiert, desertiert vor seiner eigentlichen Aufgabe, er kapituliert vor der Schlacht. Selbstverständlich, ich weiß, einfacher, handlicher ist es schon, in gewissen Fällen einfach ›unheilbar‹ zu sagen und mit resigniertem Gesicht und eingeheimstem Konsultationshonorar sich wegzudrehen, – jaja, höchst bequem und einträglich, sich ausschließlich mit den erwiesenen, den erprobt heilbaren Fällen zu befassen, wo man in der Schwarte Seite soundsoviel die ganze Therapie fertig aufblättern kann. Na, wem's Spaß macht, der mag so herumbadern. Mir ad personam scheint das als Leistung genau so kläglich, wie wenn ein Dichter nur das Schongesagte noch einmal sagen wollte, statt zu versuchen, das Ungesagte, ja, das Unsagbare ins Wort zu bändigen, wenn ein Philosoph das längst Erkannte zum neunundneunzigstenmal explizierte, statt dem Unerkannten, dem Unerkennbaren entgegenzudenken. Unheilbar – das ist doch nur ein relativer Begriff, kein absoluter; unheilbare Fälle gibt's für die Medizin als einer fortschreitenden Erkenntnis doch nur im Momentanen, im Raum unserer Zeit, unserer Wissenschaft, also innerhalb unserer begrenzten, borniertenFroschperspektive! Aber auf unsern Augenblick kommt es doch nicht an. In hundert Fällen, wo wir heute keine Heilungsmöglichkeiten sehen, kann – unsere Wissenschaft rennt ja in rasendem Tempo vorwärts – morgen, übermorgen eine schon gefunden, schon er -funden sein. Es gibt also, merken Sie sich das gefälligst« – er sagte es ärgerlich, als hätte ich ihn beleidigt – »es gibt für mich keine unheilbaren Krankheiten, ich gebe prinzipiell nichts und niemanden auf, und niemand wird mir jemals das Wort ›unheilbar‹ abringen. Das Äußerste, was ich auch im verzweifeltsten Falle behaupten würde, wäre, daß ich eine Krankheit › noch-nicht -heilbar‹ nenne – will sagen: von unserer zeitgemäßen Wissenschaft noch nicht heilbar.«
    Condor schritt dermaßen heftig dahin, daß ich Mühe hatte, ihm nachzufolgen. Plötzlich bremste er.
    »Vielleicht drück ich mich zu kompliziert, zu abstrakt aus. Solche Dinge setzen sich ja wirklich schwer zwischen Wirtshaus und Bahnhof auseinander. Aber vielleicht wird Ihnen ein Beispiel besser veranschaulichen, was ich meine – übrigens ein sehr persönliches und mir sehr schmerzliches Beispiel. Vor zweiundzwanzig Jahren war ich ein junger Student der Medizin, etwa so alt wie Sie heute, gerade im vierten Semester. Da erkrankte mein Vater, bis dahin ein starker, vollkommen gesunder, unermüdlich tätiger Mann, den ich leidenschaftlich liebte und verehrte. Die Ärzte diagnostizierten eine Diabetes, Sie kennen sie wahrscheinlich unter dem Namen Zuckerkrankheit, eine der grausamsten, der heimtückischesten Krankheiten, die einen Menschen überfallen kann. Ohne jeden Anlaß hört der Organismus auf, die Nährstoffe weiter zu verarbeiten, er führt Fett und Zucker nicht mehr dem Körper zu, und dadurch verfällt und verhungert der Kranke eigentlich bei lebendigem Leibe – ich will Sie nicht mit den Einzelheiten quälen, sie haben mir selbst drei Jahre meiner Jugend zerstört.
    Und nun hören Sie: damals kannte die sogenannte Wissenschaft nicht die geringste Kur gegen Diabetes. Man quälte die Kranken mit einer besonderen Diät, jedes Gramm wurde gewogen, jeder Schluck gemessen, aber die Ärzte wußten – und ich als Mediziner wußte es

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