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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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erreicht.«
    Seine Heftigkeit erschreckte mich: offenbar hatte ich ihn in seinem ärztlichen Ehrgefühl verletzt. So versuchte ich, ihn zu beruhigen.
    »Aber Herr von Kekesfalva hat mir geschildert, wie sehr die elektrischen Bäder Edith erfrischt hätten, und besonders seit den Injekt...«
    Doch Condor blieb mit einem Ruck stehen und riß mir das halbausgesprochene Wort entzwei.
    »Unsinn! Blanker Unsinn! Lassen Sie sich doch nichts einreden von dem alten Narren! Glauben Sie wirklich, daß mit elektrischen Bädern und derlei Spielereien eine solche Paraplegie ausgewischt werden kann? Kennen Sie denn nicht unseren alten Ärztetrick? Wenn wir selber nicht weiter wissen, suchen wir Zeit zu gewinnen und beschäftigen den Patienten mit Mätzchen und Schwätzchen,damit er unsere Ratlosigkeit nicht bemerkt, und zu unserem Glück lügt dann meist in dem Kranken die Natur mit und wird unser Komplize. Natürlich fühlt sie sich besser! Jede Kur, ob Sie Zitronen essen oder Milch trinken, ob Sie kaltes Wasser oder heißes bekommen, bewirkt zunächst eine Veränderung im Organismus und erzeugt einen neuen Reiz, den die ewig optimistischen Kranken für Besserung nehmen. Diese Art Selbstsuggestion ist unser bester Helfer, sie hilft sogar den größten Eseln von Ärzten. Aber die Sache hat einen Haken – sobald der Anreiz des Neuen sich abgestumpft hat, setzt die Reaktion ein, und dann heißt es schleunigst abwechseln, abermals eine neue Therapie vortäuschen; mit derlei Schwindel manipuliert unsereins in heillosen Fällen eben so lange, bis man durch Zufall vielleicht die wirkliche, die richtige Methode findet. Nein, keine Komplimente, ich weiß selber am besten, wie wenig von dem, was ich will, ich bei Edith erreicht habe! Alles, was ich bisher versuchte – täuschen Sie sich nicht darüber –, alle die Alfanzereien wie Elektrisieren und Massieren haben ihr im wahrsten Sinn des Worts noch nicht recht auf die Beine geholfen.«
    So vehement brach Condor gegen sich selber los, daß ich das Bedürfnis fühlte, ihn gegen sein eigenes Gewissen zu verteidigen. So fügte ich schüchtern bei:
    »Aber ... ich habe doch selbst gesehen, wie sie dank der Maschinen geht ... dieser Streckapparat ...«
    Doch nun sprach Condor nicht mehr, jetzt schrie er mich geradewegs an, und zwar derart zornig und hemmungslos laut, daß in der leeren Gasse zwei verspätete Spaziergänger sich neugierig umwandten.
    »Schwindel, habe ich Ihnen gesagt, Schwindel! Hilfsapparate für mich und nicht für sie! Diese Maschinen sind Beschäftigungsapparate, bloße Beschäftigungsapparate, verstehen Sie ... nicht das Kind braucht sie, sondern ich brauchte sie, weil die Kekesfalvas sich nicht länger geduldenwollten. Nur weil ich dieser Drängerei nicht mehr standhielt, mußte dem alten Mann wieder eine Kampferinjektion Zuversicht verabreicht werden. Was blieb mir übrig, als der Ungeduldigen diese Zentner anzuhängen, wie man eben einem renitenten Gefangenen Fußschellen anschnallt – ganz unnötigerweise anzuhängen ... das heißt, vielleicht kräftigen die Apparate ein bißchen die Sehnen ... ich konnte mir eben nicht mehr anders helfen ... ich muß doch Zeit gewinnen ... Aber ich schäme mich dieser Tricks und Attrappen durchaus nicht, Sie sehen ja selbst den Erfolg – Edith redet sich ein, daß sie seitdem viel besser geht, der Vater triumphiert, ich hätte ihr geholfen, alle begeistern sich für den großartigen, genialen Wundertäter, und Sie selbst befragen mich als Doktor Allwissend!«
    Er unterbrach und nahm den Hut ab, um sich mit der Hand über die nasse Stirn zu streichen. Dann blickte er mich maliziös von der Seite an.
    »Gefällt Ihnen nicht sonderlich, fürchte ich! Desillusioniert Ihre Vorstellung vom Arzt als Helfer und Wahrheitsmann! Haben sich in jugendlicher Begeisterung die medizinische Moral anders vorgestellt und sind jetzt etwas, ich merke es ja ... ernüchtert oder sogar degoutiert von derlei Praktiken! Aber bedaure – Medizin hat mit Moral nichts zu tun: jede Krankheit ist an sich ein anarchischer Akt, eine Revolte gegen die Natur, deshalb darf man gegen sie alle Mittel einsetzen, alle . Nein, kein Mitleid mit Kranken – der Kranke stellt sich selbst hors de la loi, er verletzt die Ordnung, und um die Ordnung, um ihn selber wiederherzustellen, muß man, wie bei jeder Revolte, rücksichtslos zugreifen – was einem gerade in die Hand kommt, muß man nützen, denn mit der Güte und der Wahrheit ist noch nie die Menschheit und nie ein

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