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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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und man lieber Menschen und Dinge zunächst vertrauensvoll ansieht. Nie hätten Sie sonst diesem alten Mann und diesem armen kranken Kind so prächtig helfen können! Nein, wundern Sie sich nicht und vor allem schämen Sie sich nicht – Sie haben aus einem guten Instinkt heraus schon das Allerrichtigste getan!«
    Er warf den Zigarrenstummel in die Ecke, dehnte sich und schob den Sessel zurück. »Aber nun, glaube ich, wird es allmählich Zeit für mich.«
    Ich stand zugleich mit ihm auf, obwohl ich mich noch einigermaßen taumlig fühlte. Denn etwas Sonderbares ging in mir vor. Ich war äußerst erregt, sogar von einer gesteigerten, überreizten Wachheit durch all dies überraschend Erfahrene; aber gleichzeitig spürte ich einen dumpfen Druck an einer ganz bestimmten Stelle. Ich erinnerte mich deutlich: mitten während seines Erzählens hatte ich Condor etwas fragen wollen und nur nicht die Geistesgegenwart gehabt, ihn zu unterbrechen: irgend ein Detail wollte ich fragen an einer bestimmten Stelle! Und jetzt, da jene Frage erlaubt war, erinnerte ich mich nicht mehr; sie mußte weggeschwemmt worden sein von derErregung des Zuhörens. Vergebens tastete ich die ganzen Windungen des Gesprächs zurück – es war, wie wenn man in seinem Leib einen ganz präzisen Schmerz fühlt und ihn doch nicht zu lokalisieren vermag. Während der Minute, da wir durch die schon halbverlassene Weinstube hinausschritten, blieb ich einzig mit der inneren Bemühung beschäftigt, mich zu erinnern.
    Wir traten aus der Tür, Condor blickte auf. »Aha«, lächelte er mit einer gewissen Zufriedenheit. »Das habe ich schon die ganze Zeit gespürt; dieses Mondlicht war mir gleich zu grell. Wir bekommen ein Gewitter und sicher ein ausgiebiges dazu. Da heißt's sich beeilen.«
    Er hatte recht. Zwischen den schlafenden Häusern stockte die Luft zwar noch immer still und stickig, den Himmel überjagten jedoch von Osten her dunkle, trächtige Wolken und verhüllten strichweise den gelblich ermattenden Mond. Schon war die eine Hälfte des Firmaments völlig verdunkelt; schwarz wie eine Riesenschildkröte schob die kompakte metallische Masse sich vorwärts, manchmal übersprüht von fernem Wetterschein, und im Hintergrund murrte bei jedem Lichtschlag etwas unwillig wie ein gereiztes Tier.
    »In einer halben Stunde kriegen wir die Bescherung«, diagnostizierte Condor, »ich jedenfalls komme noch trocken zur Bahn, aber Sie, Herr Leutnant, kehren lieber um, sonst werden Sie gründlich gewaschen.«
    Doch ich wußte dumpf, daß ich ihn noch etwas fragen mußte und wußte noch immer nicht, was; die Erinnerung daran war ertrunken in einer dumpfen Schwärze wie oben der Mond im jagenden Wolkengang. Immer aber noch spürte ich jenen unbestimmten Gedanken im Hirne pochen; es war wie ein ständig fühlbarer, unruhig bohrender Schmerz.
    »Nein, ich riskiere es schon«, antwortete ich.
    »Dann aber fix! Je schneller wir marschieren, um solieber; von diesem langen Sitzen werden einem die Beine ganz steif.«
    Die Beine steif – das war es, das Kennwort! Sofort blitzte Helligkeit hinab bis in den untersten Grund meines Bewußtseins. Mit einem Schlag wußte ich, was ich Condor vordem hatte fragen wollen, was ich ihn fragen mußte: der Auftrag! Der Auftrag Kekesfalvas! Die ganze Zeit hatte ich wahrscheinlich im Unterbewußtsein nur an Kekesfalvas Frage gedacht, ob jene Lähmung unheilbar sei oder nicht: jetzt mußte ich sie stellen. So begann ich, während wir durch die ganz verlassenen Gassen schritten, ziemlich vorsichtig.
    »Verzeihung, Herr Doktor ... alles, was Sie mir erzählten, war natürlich furchtbar interessant für mich ..., ich meine furchtbar wichtig ... Aber Sie werden verstehen, daß ich Sie gerade darum noch etwas fragen möchte ... etwas, das mich schon lange bedrückt und ... Sie sind doch ihr Arzt, Sie kennen wie kein anderer den Fall ... ich bin ein Laie, mir fehlt jede richtige Vorstellung ... und da wüßte ich gerne, was Sie eigentlich davon denken. Ich meine, handelt es sich bei dieser Lähmung Ediths nur um eine vorübergehende Erkrankung oder ist sie unheilbar?«
    Condor blickte auf, scharf und mit einem einzigen Ruck. Seine Augengläser blitzten mich an; ich wich unwillkürlich der stoßhaften Vehemenz dieses Blicks aus, der wie eine Nadel mir in die Haut fuhr. Argwöhnte er am Ende Kekesfalvas Auftrag? Hatte er Verdacht geschöpft? Aber schon senkte er wieder den Kopf, und ohne sein rasches Tempo zu unterbrechen, ja vielleicht sogar noch

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