Ungeduld des Herzens.
unter den Studenten sitzt, unbeholfen sich alle Fremdwörter aus dem Lexikon herausschreibend, und dann stundenlang alle Handbücher der Medizin durchackert in der wirren Hoffnung, vielleicht könne er selbst etwas entdecken, was wir Ärzte übersehen oder vergessen hätten. Von anderer Seite wieder wurde mir zugetragen – Sie werden vielleicht lächeln, aber immer läßt erst der Irrwitz die Größe einer Leidenschaft ahnen –, daß er sowohl der Synagoge als auch dem hiesigen Pfarrer große Summen als Spende für die Genesung des Kindes zugesagt hat; ungewiß, an welchen Gott er sich wenden sollte, den verlassenen seiner Väter oder den neuen, und gejagt von der erschütternden Angst, sich's mit dem einen oder dem andern zu verderben, hat er sich beiden zugleich vereidigt.
Aber – nicht wahr, ich erzähle Ihnen derlei das Lächerliche schon streifende Detail keineswegs aus Klatschsucht. Sie sollen eben nur verstehen, was diesem geschlagenen, zerstörten, zernichteten Menschen jemand bedeutet, der ihm überhaupt zuhört , jemand, von dem er spürt, daß er seine Sorge innerlich begreift, oder wenigstens begreifen will . Ich weiß, er macht es einem schwer mit seiner obstinaten Art, mit seiner egozentrischen Besessenheit, die so tut, als ob es in unserer Welt, die doch mit Unglück bis an den Rand beladen ist, nur sein, nur seines Kindes Unglück gäbe. Aber doch, gerade jetzt darf man ihn nicht im Stich lassen, da die rasende Hilflosigkeit ihn selber krank zu machen beginnt, und Sie tun wirklich – wirklich, lieber Herr Leutnant – ein gutes Werk, wenn Sie ein bißchen von Ihrer Jugend, Ihrer Vitalität, Ihrer Unbefangenheit in dies tragische Haus bringen. Nur deshalb, nur aus der Sorge heraus, daß Sie sich von andern beirren lassen könnten, habe ich Ihnen vielleicht mehr von seinemPrivatleben erzählt, als ich eigentlich verantworten kann; aber ich glaube darauf rechnen zu dürfen – alles, was ich Ihnen sagte, bleibt strikt unter uns beiden.«
»Selbstverständlich«, sagte ich mechanisch; es war das erste Wort, das ich während seines ganzen Berichts über die Lippen brachte. Ich war wie betäubt – nicht allein von den überraschenden Enthüllungen, die meine ganzen Vorstellungen von Kekesfalva von außen nach innen umwendeten wie einen Handschuh; ich war gleichzeitig auch betroffen über meine eigene Dumpfheit und Torheit. Mit so seichten Augen war ich also in meinem fünfundzwanzigsten Jahr noch durch die Welt gegangen! Wochenlang täglicher Gast in diesem Hause, hatte ich, ganz eingenebelt in mein Mitleid, aus dummer Diskretion niemals gewagt, mich zu erkundigen, weder nach der Krankheit selbst, noch nach der Mutter, die doch sichtlich in diesem Hause fehlte, nicht gefragt, woher der Reichtum dieses sonderbaren Menschen stammte. Wie hatte ich übersehen können, daß diese verhangenen, mandelförmigen, melancholischen Augen nicht die eines ungarischen Aristokraten waren, sondern der von tausend Jahren tragischen Kampfes geschärfte und zugleich ermüdete Blick der jüdischen Rasse? Wie nicht wahrnehmen, daß in Edith wiederum andere Elemente gemischt waren, wie nicht erkennen, daß etwas in diesem Hause gespenstisch von sonderbaren Vergangenheiten belastet sein mußte? Blitzschnell fielen eine Reihe Einzelheiten mir nun verspätet ein: mit welchem kalten Blick unser Oberst einmal bei einer Begegnung Kekesfalvas Gruß von sich weggeschoben hatte, gerade zwei Finger halb an die Kappe hebend, oder wie die Kameraden an Kaffeehaustisch ihn einen »alten Manichäer« genannt. Mir war zumute, wie wenn plötzlich in einem dunklen Zimmer ein Vorhang aufgerissen wird und die Sonne dringt einem so jäh in die Augen, daß sie purpurn schwirren, und man taumeltunter dem grellen Prall dieses durch sein Übermaß unerträglichen Lichts.
Aber als ob er geahnt hätte, was in mir vorging, beugte sich Condor zu mir herüber; seine kleine, weiche Hand rührte beruhigend und wahrhaft ärztlich die meine an.
»Das konnten Sie natürlich nicht ahnen, Herr Leutnant, wie sollten Sie auch! Sie sind doch in einer ganz abgeschlossenen, ganz abseitigen Welt auferzogen worden und überdies im glücklichen Alter, wo man noch nicht gelernt hat, alles Sonderbare zuerst mißtrauisch anzusehen. Glauben Sie mir als dem Älteren – man braucht sich nicht zu schämen, ab und zu vom Leben düpiert zu werden; es ist viel eher eine Gnade, wenn einem jener überscharfe, diagnostische mal-occhio-Blick noch nicht in der Pupille steckt
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