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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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einzelner Mensch geheilt worden. Wenn ein Schwindel kuriert, so ist er eben kein erbärmlicher Schwindel mehr,sondern ein erstklassiges Medikament, und so lange ich in einem Fall nicht faktisch helfen kann, muß ich eben trachten, bloß hinüberzuhelfen. Auch das ist schon keine leichte Sache, Herr Leutnant, immer eine neue Walze zu drehen, fünf Jahre lang, besonders wenn man von seiner eigenen Kunst nicht sehr erbaut ist! Jedenfalls wird für Komplimente ergebenst gedankt!«
    Er stand, der kleine, feiste Mann, mir so erregt gegenüber, als ob er bei dem ersten Widerspruch mich gewalttätig angehen wollte. In diesem Augenblick sprühte auf dem verdunkelten Horizont ein blauer Blitz wie eine Ader auf, schwerfällig rumpelte und brummte ein knurriger Donner nach. Condor lachte plötzlich.
    »Sehen Sie – des Himmels Groll gibt die Antwort. Na, Sie Armer – Ihnen ist heute ausgiebig zugesetzt worden, eine Illusion nach der andern mit dem Seziermesser wegoperiert, erst die vom magyarischen Magnaten, dann die vom fürsorglichen, vom unfehlbaren Arzt und Helfer. Aber Sie müssen verstehen, wie einen die Lobgesänge dieses alten Narren irritieren! Gerade im Fall Edith geht mir das sentimentale Gehudel besonders gegen den Strich, weil's mich doch selber wurmt, so langsam vorwärtszukommen, und daß ich in ihrem Fall noch nichts Entscheidendes gefunden, das heißt erfunden habe.«
    Er ging einige Schritte stumm. Dann wandte er sich mir herzlicher zu:
    »Übrigens, ich möchte nicht, daß Sie meinen, ich hätte innerlich den Fall ›aufgegeben‹, wie man bei uns so lieblich sagt. Im Gegenteil, gerade hier laß ich nicht von der Stange, und wenn's noch ein Jahr dauern sollte oder fünf Jahre. Es trifft sich übrigens sonderbar – just an demselben Abend nach jenem Vortrag, von dem ich Ihnen sprach, fand ich in der Pariser medizinischen Zeitschrift die Therapie einer Lähmung beschrieben, einen ganz kuriosen Fall eines Vierzigjährigen, der zwei volleJahre gelähmt zu Bett lag, kein Glied rühren konnte, und den Professor Viennot in vier Monaten so weit gebracht hat, daß er munter wieder fünf Stockwerke steigt. Denken Sie: in vier Monaten eine solche Heilung, in einem ganz ähnlichen Fall, wo ich hier fünf Jahre herummurkse mich hat's geradezu umgeschmissen, als ich das las! Natürlich war mir die Ätiologie des Falls und auch die Methode nicht ganz klar, Professor Viennot scheint da eine Reihe von Behandlungsarten merkwürdig gekoppelt zu haben, eine Sonnenbestrahlung in Cannes, eine Apparatur und eine gewisse Gymnastik; bei der knappen Krankengeschichte hab ich natürlich keine Vorstellung, ob und inwieweit etwas von seiner neuen Methode in unserem Fall praktikabel sein kann. Aber ich habe sofort an Professor Viennot persönlich geschrieben, um genauere Daten zu erbitten, und nur im Hinblick darauf Edith heute so umständlich mit einer neuerlichen Untersuchung gequält – man braucht doch Vergleichsmöglichkeiten. Sie sehen also, daß ich keineswegs die Flagge streiche und im Gegenteil nach jedem Strohhalm fasse. Vielleicht steckt wirklich eine Möglichkeit in dieser neuen Methode – ich sage vielleicht , ich sage nicht mehr, und habe überhaupt schon zuviel geschwätzt. Schluß jetzt mit meinem vermaledeiten Metier!«
    Wir befanden uns in diesem Augenblick schon ganz nahe dem Bahnhofsgebäude. Unser Gespräch mußte bald enden; so drängte ich:
    »Sie meinen also, daß ...«
    Aber in diesem Augenblick blieb der kleine, dickliche Mann mit einem Ruck stehen.
    »Gar nichts meine ich«, fauchte er mich an. »Und gar kein ›also‹! Was wollt ihr denn alle von mir? Ich habe keine Telephonleitung zum lieben Gott. Gar nichts habe ich gesagt. Gar nichts Bestimmtes. Gar nichts meine ich und glaube ich und denke ich und verspreche ich. Ich habeohnehin schon viel zuviel geschwätzt. Und überhaupt jetzt Schluß! Schönen Dank für Ihre Begleitung. Sie tun besser, eiligst umzukehren, sonst bleibt an Ihrem Rock kein Faden trocken.«
    Und ohne mir die Hand zu geben, lief er sichtlich verärgert (ich begriff nicht, weswegen) mit seinen kurzen und, wie mir schien, etwas plattfüßigen Beinen dem Bahnhof zu.
    Condor hatte richtig gesehen. Das lang schon den Nerven fühlbare Gewitter war unverkennbar im Anrücken. Polternd wie schwere, schwarze Kisten schoben sich dicke Wolken über den unruhig zitternden Baumkronen zusammen, manchmal vom Funkenstrich eines Wetterleuchtens bleich überhellt. Brandig schmeckte die feuchte und hin

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