Ungeduld des Herzens.
auf dem Tisch liegen gesehen; dennoch war mir, da Condor mit unerbittlicher Sachlichkeit die Situation klarstellte, als hätte man mit einem stumpfen Beil mir gegen die Stirn geschlagen. Instinktiv fühlte ich das Bedürfnis, mich zu wehren. Ich wollte nicht die ganze Verantwortung mir auflasten lassen. Aber was ich schließlich mir abrang, klang wie das Stammeln eines ertappten Schuljungen.
»Aber wieso denn? ... Ich hab doch nur das Beste gewollt ... Wenn ich Kekesfalva etwas erzählte, so war es doch nur aus ... aus ...«
»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach Condor – »selbstverständlich hat er's Ihnen abgepreßt, abgewürgt, er kann einen tatsächlich wehrlos machen mit seiner verzweifelten Insistenz. Ja, ich weiß schon, ich weiß, daß Sie nur aus Mitleid, also aus den anständigsten, den besten Motiven schwach geworden sind. Aber – ich glaube, ich habe Sie schon einmal gewarnt – es ist eine verflucht zweischneidige Sache mit dem Mitleid; wer damit nicht umzugehen weiß, soll die Hand davon lassen und vor allem das Herz. Nur im Anfang ist Mitleid – genau wie das Morphium eine Wohltat für den Kranken, ein Heilmittel, ein Hilfsmittel,aber wenn man's nicht richtig zu dosieren und abzustoppen weiß, wird's ein mörderisches Gift. Mit den ersten paar Injektionen tut man wohl, die beruhigen, die lähmen den Schmerz. Aber verhängnisvollerweise besitzt der Organismus, der Körper wie die Seele, eine unheimliche Anpassungskraft; so wie die Nerven immer mehr Morphium, benötigt das Gefühl immer mehr Mitleid, und schließlich mehr, als man geben kann. Einmal kommt unvermeidlich der Augenblick, da und dort, wo man ›Nein‹ sagen muß und sich nicht kümmern darf, ob der Andere einen für dieses letzte Weigern mehr haßt, als wenn man ihm nie geholfen hätte. Ja, lieber Herr Leutnant, man muß sein Mitleid richtig im Zaum halten, sonst richtet es schlimmeren Schaden an als alle Gleichgültigkeit – das wissen wir Ärzte und wissen die Richter und die Gerichtsvollzieher und die Pfandleiher; wenn die alle immer nur ihrem Mitleid nachgeben wollten, stünde unsere Welt still – gefährliche Sache, das Mitleid, gefährliche Sache! Sie sehen selbst, was Ihre Schwäche hier angerichtet hat.«
»Ja ... aber man kann ... man kann doch nicht einen Menschen in seiner Verzweiflung einfach stehenlassen ... schließlich war nichts dabei, wenn ich versuchte ...«
Aber Condor wurde plötzlich heftig.
»Doch – sehr viel war dabei! Sehr viel Verantwortung, verdammt viel Verantwortung, wenn man einen andern mit seinem Mitleid zum Narren macht! Ein erwachsener Mensch muß überlegen, ehe er sich in eine Sache einmengt, wie weit er zu gehen entschlossen ist – keine Herumspielerei mit fremden Gefühlen! Zugegeben – Sie haben aus den bravsten, anständigsten Motiven diese guten Leute beduselt, aber in unserer Welt kommt's nicht darauf an, ob man hart zugreift oder zaghaft, sondern einzig darauf, was man schließlich ausrichtet oder anrichtet. Mitleid – schön! Aber es gibt eben zweierlei Mitleid.Das eine, das schwachmütige und sentimentale, das eigentlich nur Ungeduld des Herzens ist, sich möglichst schnell freizumachen von der peinlichen Ergriffenheit vor einem fremden Unglück, jenes Mitleid, das gar nicht Mitleiden ist, sondern nur instinktive Abwehr des fremden Leidens von der eigenen Seele. Und das andere, das einzig zählt – das unsentimentale, aber schöpferische Mitleid, das weiß, was es will, und entschlossen ist, geduldig und mitduldend durchzustehen bis zum Letzten seiner Kraft und noch über dies Letzte hinaus. Nur wenn man zum Ende geht, bis zum äußersten bitteren Ende, nur wenn man die große Geduld hat, kann man Menschen helfen. Nur wenn man sich selber aufopfert dabei, nur dann!«
Es schwang ein bitterer Ton in seiner Stimme mit. Unwillkürlich fiel mir ein, was Kekesfalva erzählt hatte – Condor habe eine blinde Frau, die er nicht zu kurieren vermochte, gleichsam als Buße geheiratet, und diese Blinde, statt ihm dankbar zu sein, quäle ihn noch. Aber schon legte er warm und fast zärtlich seine Hand auf meinen Arm.
»Na, ich meine es nicht so böse. Ihr Gefühl hat Sie eben herumgekriegt, das kann jedem zustoßen. Aber jetzt zur Sache – zu meiner und Ihrer. Ich habe Sie schließlich nicht herzitiert, um mit Ihnen Psychologie zu schwatzen. Wir müssen zum Praktischen kommen. Selbstverständlich ist es nötig, daß wir in dieser Sache konform gehen. Es darf nicht zum zweitenmal passieren,
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