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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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    »Gehen wir jetzt«, raunte ich rasch Herrn von Kekesfalva zu, denn mir fiel auf, wie blaß Edith geworden war. Ich holte Pista; er und Ilona schleppten und stützten die Schwankende mit ihren Krücken hin zum Wagen. Sofort stockte die Musik, keiner der braven Leute wollte sich's nehmen lassen, mit Winken und Rufen unsere Abfahrt zu begleiten. Die Musikanten umringten den Wagen, um rasch einen letzten Tusch loszulegen, das ganze Dorf schrie und tobte »Hoch« und »Hoch«; wahrhaftig, der alte Jonak hatte gute Mühe, die solches Kriegsgetöse nicht mehr gewöhnten Pferde zu bändigen.
    Ich blieb ein wenig beunruhigt wegen Edith, der ich im Wagen gegenübersaß. Sie zitterte noch immer am ganzen Leibe; etwas Heftiges schien sie zu bedrängen. Und auf einmal brach ein jähes Schluchzen aus ihr hervor. Aber es war ein Schluchzen des Glücks. Sie weinte, während sie lachte, und lachte, während sie weinte. Zweifellos hatte die listige Zigeunerin ihr baldige Genesung prophezeit, vielleicht sogar noch anderes dazu.
    Aber »Ach laßt mich, laßt mich doch«, wehrte die Schluchzende ungeduldig ab. In diesem Durchschüttertsein schien sie eine ganz neue und merkwürdige Lust zu fühlen. »Laßt mich, laßt mich doch«, wiederholte sie immer wieder. »Ich weiß ja, daß sie eine Schwindlerin ist, diese Alte. Ach, ich weiß es schon selbst. Aber warum soll man nicht einmal dumm sein! Warum sich nicht einmal ganz ehrlich betrügen lassen!«
    Es war schon spät abends, als wir wieder durch das Schloßtor einfuhren. Alle drängten mich, ich solle noch zum Abendessen bleiben. Aber ich wollte nicht mehr. Ich fühlte, daß es genug war und schon zuviel. Ich war vollkommen glücklich gewesen diesen langen goldenen Sommertag, jedes Mehr, jedes Dazu konnte nur nochvermindern. Lieber jetzt heimgehen die vertraute Allee, weich ausgeglättet die Seele wie die sommerliche Luft nach dem glühenden Tag. Nur nichts mehr begehren, bloß dankbar sich erinnern und alles überdenken. So nahm ich vorzeitig Abschied. Die Sterne glänzten, und mir war, als glänzten sie zärtlich mich an. Der Wind strich sordiniert über die verlöschenden Felder, dunklen Brodems voll, und mir war, als sänge er mir zu. Jener reine Überschwang kam über mich, da alles gut und begeisternd scheint, die Welt und die Menschen, da man jeden Baum umarmen möchte und über sein Holz hinstreichen wie über eine geliebte Haut. Da man eintreten möchte in jedes fremde Haus, sich zu den Unbekannten setzen und ihnen alles anvertrauen, da einem die eigene Brust zu eng wird und das innere Gefühl zu stark, da man sich mitteilen möchte, ausströmen, verschwenden – nur etwas schenken und vergeuden von diesem drängenden Überfluß!
    Als ich schließlich die Kaserne erreichte, stand vor der Zimmertür wartend mein Bursche. Zum erstenmal bemerkte ich (alles fühlte ich heute wie zum erstenmal), was für ein treuherziges, rundes, apfelbackiges Gesicht dieser ruthenische Bauernjunge hatte. Ach, ihm doch auch eine Freude machen, dachte ich. Am besten, ich schenk ihm was, daß er ein paar Glas Bier kaufen kann für sich und sein Mädel. Heut soll er Ausgang haben und morgen und die ganze Woche! Schon griff ich in die Tasche nach einem Silberstück. Da straffte er sich auf und meldete, die Hände scharf an der Hosennaht: »Ist Telegramm gekommen für Herrn Leutnant.«
    Ein Telegramm? Mir wurde sofort unbehaglich. Wer sollte von mir etwas wollen auf der Welt? Nur Schlimmes konnte mich so eilig suchen. Rasch ging ich auf den Tisch zu. Da lag das fremde Papier, viereckig und verschlossen. Mit unwilligen Fingern riß ich es auf. Es waren nur ein Dutzend Worte, und sie meldeten schneidend klar: »Binmorgen Kekesfalva berufen. Muß Sie unbedingt vorher sprechen. Erwarte Sie fünf Uhr Tiroler Weinstube. Condor.«
     
    Daß innerhalb einer einzigen Minute die taumligste Trunkenheit rapid umschlagen kann in kristallklare Wachheit, hatte ich schon einmal erlebt. Das war im vorigen Jahr gewesen beim Abschiedsfest für einen Kameraden, der die Tochter eines schwerreichen nordböhmischen Fabrikanten heiratete und uns zuvor einen pompösen Abend spendierte. Der gute Bursch ließ sich wahrhaftig nicht lumpen, eine Batterie von Flaschen nach der andern ließ er auffahren, schwersten dickblütigsten Bordeaux und schließlich derart reichlich Champagner, daß, je nach dem Temperament, die einen von uns laut wurden und die andern sentimental. Man umarmte sich, man lachte, randalierte, rumorte

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