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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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daß Sie mir von hinten herum in mein Konzept fahren. Also hören Sie! Ich muß nach jenem Brief Ediths leider annehmen, daß sich unsere Freunde schon total in den Wahn verrannt haben, man könne durch jene doch unanwendbare Kur die ganze komplizierte Erkrankung blank wegwischen wie mit einem Schwamm. Auch wenn diese Narrheit schon gefährlich tief sitzt, bleibt nichts anderes übrig, als sie sofort wieder herauszuoperieren – je rascher, desto besser füruns alle. Natürlich wird's einen harten Schock geben. Wahrheit ist ja immer bittere Medizin, aber man darf einen solchen Wahn nicht weiter wuchern lassen. Daß ich's auf die schonendste Weise anpacken werde, lassen Sie meine Sache sein.
    Und jetzt zu Ihnen! Am bequemsten für mich wäre natürlich, die ganze Schuld auf Sie abzuschieben. Zu sagen, Sie hätten mich mißverstanden, Sie hätten übertrieben oder phantasiert. Nun, das werde ich nicht tun, sondern lieber alles auf meine Kappe nehmen. Nur – das sage ich Ihnen gleich – ganz kann ich Sie nicht aus dem Spiel lassen. Sie kennen den alten Mann und seine schreckliche Zähigkeit. Wenn ich ihm auch hundertmal die Sache erklärte und den Brief zeigte, würde er immer von neuem jammern: ›Aber Sie haben doch dem Herrn Leutnant versprochen ...‹ und ›Herr Leutnant hat doch gesagt ...‹ – Ununterbrochen würde er sich auf Sie berufen, um sich und mir vorzutäuschen, es bestehe trotz alledem noch irgendwelche Hoffnung. Ohne Sie als Zeugen werde ich mit ihm nicht fertig. Illusionen kann man nicht so leicht herunterschütteln wie das Quecksilber im Thermometer. Hat man einmal einem jener Kranken, die man so grausamerweise unheilbar nennt, einen Strohhalm Hoffnung gezeigt, so zimmert er sich sofort daraus einen Balken und aus dem Balken ein ganzes Haus. Aber derlei Luftschlösser sind höchst ungesund für Kranke, und es ist meine Pflicht als Arzt, dieses Luftschloß schleunigst umzulegen, ehe sich exaltierte Hoffnungen drin heimisch machen. Wir müssen unbedingt die Sache scharf angehen und ohne Zeit zu verlieren.«
    Condor hielt inne. Er wartete offenbar auf meine Zustimmung. Aber ich wagte nicht, seinem Blick zu begegnen; innen jagten jetzt, vom pochenden Herzschlag aufgetrieben, die Bilder des gestrigen Tages vorüber. Wie wir heiter über das sommerliche Land gefahren warenund das Gesicht der Kranken hatte von Sonne und Glück gestrahlt. Wie sie die kleinen Fohlen streichelte, wie sie als Königin bei dem Feste saß, wie immer und immer wieder dem Alten die Tränen niederliefen in den lachenden und zuckenden Mund. Das alles mit einem einzigen Hieb zerstören! Die Verwandelte wieder rückverwandeln, die so herrlich ihrer Verzweiflung Entrissene mit einem Wort in alle Höllen der Ungeduld wieder zurückstoßen! Nein, ich wußte, nie würde ich dazu die Hand bieten können. So äußerte ich zaghaft:
    »Aber könnte man nicht lieber ...« und stockte schon wieder unter seinem prüfenden Blick.
    »Was?« fragte er scharf.
    »Ich meinte nur, ob man ... ob man mit dieser Eröffnung nicht lieber warten sollte ... wenigstens ein paar Tage, weil ... weil ... ich hatte gestern den Eindruck, als hätte sie sich schon völlig auf diese Kur eingestellt ... ich meine, innerlich eingestellt ... und sie hätte jetzt, wie Sie damals sagten, die ... die psychischen Kräfte ... ich meine, sie wäre jetzt imstande, viel mehr aus sich herauszuholen, wenn ... wenn man sie nur noch einige Zeit in dem Glauben beließe, diese neue Kur, von der sie alles erwartet, würde sie endgültig heilen ... Sie ... Sie haben ja nicht gesehen, Sie ... Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schon die bloße Ankündigung auf sie gewirkt hat ... ich hatte wirklich den Eindruck, daß sie sich sofort viel besser fortbewegen konnte ... und ich meine, ob man das nicht erst sich auswirken lassen sollte ... Natürlich ...« – ich flüchtete mit der Stimme zurück, weil ich spürte, wie überrascht Condor zu mir aufblickte – »natürlich, ich verstehe nichts davon ...«
    Condor blickte mich noch immer an. Dann knurrte er: »Sieh mal – Saul unter den Propheten! Sie scheinen sich ja äußerst gründlich in die Sache hineingekniet zu haben sogar das von den »psychischen Kräften« haben Sie sichgemerkt! Und dazu noch Ihre klinischen Feststellungen ohne daß ich's wußte, hab ich mir da in aller Stille einen Assistenten und Konsiliarius herangezogen! – Übrigens« – er kraulte sich mit nervöser Hand nachdenklich im Haar – »was Sie

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