Ungeduld des Herzens.
Mensch auf Erden, der sie retten werde, und sie vermöge mir gar nicht zu sagen, wie glücklich sie sich fühle, daßwir endlich so weit seien. Sie schreibe nur, um mir zu versichern, ich könne mich unbedingt auf sie verlassen. Alles, was ich anordnen würde, auch das Allerschwerste, werde sie zuversichtlich auf sich nehmen. Aber nur bald, nur sofort solle ich beginnen mit der neuen Kur, sie brenne nur so vor Ungeduld. Und nochmals: alles könne ich ihr zumuten, nur rasch solle ich beginnen. Und so weiter und so weiter.
Immerhin – dieses eine Wort von der neuen Kur zündete mir ein Licht auf. Ich begriff sofort, jemand mußte von jener Kur Professor Viennots entweder zum Alten oder zu seiner Tochter geschwätzt haben; so was kommt doch nicht aus der Luft und dieser jemand kann selbstverständlich kein anderer gewesen sein als Sie, Herr Leutnant.«
Ich mußte unwillkürlich eine Bewegung gemacht haben, denn er hieb gleich in die Kerbe.
»Bitte über diesen Punkt keine Diskussionen! Ich habe zu niemand anderem jener Methode des Professor Viennot auch nur die leiseste Erwähnung getan. Nur Sie haben es auf dem Gewissen, wenn die da draußen glauben, in ein paar Monaten wird jetzt alles wie mit dem Staubtuch weggewischt. Aber wie gesagt, ersparen wir uns alle Rekriminationen – geschwätzt haben wir beide, ich zu Ihnen und Sie wieder ausgiebigst zu den andern. Es wäre meine Pflicht gewesen, vorsichtiger mit Ihnen zu sein schließlich ist Krankenbehandlung nicht Ihr Metier –, woher sollten Sie wissen, daß Kranke und ihre Anverwandten ein anderes Vokabular haben als normale Menschen, daß jedes ›vielleicht‹ sich bei ihnen sofort in ein ›gewiß‹ verwandelt und man ihnen Hoffnung deshalb nur in vorsichtig destillierten Tropfen eingeben darf, sonst steigt ihnen der Optimismus zu Kopf und macht sie rabiat.
Aber soweit halten wir jetzt – geschehen ist geschehen!Ziehen wir einen Strich unter das Thema Verantwortung! Nicht dazu habe ich Sie hergebeten, um mit Ihnen zu perorieren. Ich fühle mich nur, nachdem Sie sich einmal in meine Sache eingemengt haben, verpflichtet, Sie über den Stand der Angelegenheit aufzuklären. Deswegen bat ich Sie hierher.«
Condor hob jetzt zum erstenmal die Stirne und sah mich geradeaus an. Aber es lag keineswegs Strenge in seinem Blick. Im Gegenteil, mir war, als hätte er Mitleid mit mir. Auch seine Stimme wurde jetzt milder:
»Ich weiß, lieber Herr Leutnant – was ich Ihnen jetzt mitteilen muß, wird Sie sehr schmerzlich berühren. Aber, wie gesagt: für Sentiments und Sentimentalitäten bleibt keine Zeit. Ich hatte Ihnen erzählt, daß ich auf jenen Bericht in der Medizinischen Zeitschrift hin sofort an Professor Viennot um näheren Bescheid geschrieben hatte – mehr habe ich, glaube ich, nicht gesagt. Nun gestern morgen kam seine Antwort, und zwar mit der gleichen Post wie Ediths überströmender Brief. Seine Auskunft scheint auf den ersten Blick positiv. Viennot hat tatsächlich bei jenem Patienten und bei einigen andern erstaunliche Erfolge erzielt. Aber leider – und das ist der peinliche Punkt – ist seine Methode auf unseren Fall nicht anwendbar. Bei seinen Heilungen handelte es sich um Erkrankungen des Rückenmarks auf tuberkulöser Grundlage, wo – ich erspare Ihnen die fachlichen Einzelheiten – durch Änderung der Drucklage die motorischen Nerven wieder in volle Funktion eingeschaltet werden können. In unserem Fall, wo das Zentralnervensystem betroffen ist, kommen alle die Prozeduren Professor Viennots, das unbewegliche Liegen im Korsett, die gleichzeitige Sonnenbestrahlung, seine besondere Art der Gymnastik von vornherein nicht in Betracht. Seine Methode ist – leider! leider! – in unserem Fall völlig unpraktikabel. Dem armen Kind alle diese umständlichen Prozedurenzuzumuten, hieße wahrscheinlich, sie ganz unnötig quälen. So – das war ich Ihnen mitzuteilen verpflichtet. Nun wissen Sie, wie die Sache wirklich steht und wie leichtfertig Sie das arme Mädel mit der Hoffnung verrückt gemacht haben, in ein paar Monaten könne sie wieder tanzen und springen! Von mir hätte niemand eine so blödsinnige Behauptung gehört. An Sie aber, der Sie voreilig Mond und Sterne vom Himmel herab versprochen haben, werden sich alle jetzt halten und mit Recht. Schließlich haben Sie und Sie allein die ganze Sache aufgezäumt.«
Ich fühlte meine Finger starr werden. Alles das hatte ich im Unterbewußtsein seit dem Augenblick vorausgeahnt, da ich jenes Telegramm
Weitere Kostenlose Bücher