Ungeduld des Herzens.
und sang. Man stieß immer wieder toastierend an, kippte kräftigst Kognak und Liköre, schmauchte und paffte, schon hüllten dicke Schwaden das überhitzte Lokal in eine Art bläulichen Nebels, und so merkte schließlich keiner, daß sich hinter den erblindenden Fenstern der Himmel schon aufhellte. Es mochte drei Uhr, vier Uhr geworden sein, die meisten konnten nicht mehr recht aufrecht sitzen; schwer hingelümmelt über den Tisch starrten sie nur mit verschwommen glasigen Augen empor, wenn ein neuer Toast ausgebracht wurde; mußte einer austreten, so taumelte und torkelte er zur Tür oder stolperte hin wie ein gefüllter Sack. Keiner konnte mehr klar sprechen oder denken.
Da plötzlich wurde die Tür aufgerissen, der Oberst (von dem ich später mehr zu reden haben werde) rasselte herein, und da im wüsten Getöse nur ein paar ihn bemerkten oder erkannten, trat er schroff an den Tisch, hieb mit der Faust auf die beschmutzte Platte, daß Tellerund Gläser klirrten. Dann kommandierte er mit seiner härtesten schneidendsten Stimme: »Ruhe!«
Und sofort, mit einem einzigen Schlag, wurde es still, auch die Duseligsten blinzelten auf und waren wach. Der Oberst kündigte kurz an, daß vormittags eine überraschend angesetzte Inspektion des Divisionärs zu erwarten sei. Er zähle darauf, daß alles tadellos klappen und keiner dem Regiment Schande machen werde. Nun aber geschah das Sonderbare: mit einem Riß und Ruck hatten wir alle unsere Sinne beisammen. Als hätte man ein inneres Fenster aufgerissen, war der ganze Dunst von Alkohol verflogen, die verschwommenen Gesichter veränderten, spannten sich unter dem Anruf der Pflicht, im Nu strammte sich jeder zusammen, und zwei Minuten später war die verwüstete Tafel verlassen, jeder wußte wach und klar, was ihm zu tun oblag. Die Mannschaft wurde geweckt, die Ordonnanzen sausten, bis zum letzten Sattelknopf wurde noch alles rasch geputzt und gestriegelt; tadellos lief dann ein paar Stunden später die gefürchtete Inspektion ab.
Genau so schußhaft schnell fiel, kaum daß ich jenes Telegramm aufgebrochen, die weiche duselige Traumhaftigkeit von mir ab. In einer Sekunde wußte ich, was ich durch Stunden und Stunden nicht hatte wahrhaben wollen: daß alle jene Begeisterung nichts als Rausch einer Lüge gewesen, und ich in meiner Schwäche, meinem unseligen Mitleid mich einer Täuschung schuldig, mitschuldig gemacht. Ich ahnte sofort: jener kam, um Rechenschaft zu fordern. Nun galt es, den Preis zu zahlen für den eigenen, für den fremden Überschwang.
Mit der Pünktlichkeit der Ungeduld und infolgedessen sogar eine Viertelstunde zu früh stand ich um die vereinbarte Zeit vor jener Weinstube, und genau um die angesagte Zeit fuhr Condor in einem Zweispänner vomBahnhof heran. Ohne jede weitere Formalität ging er auf mich zu.
»Famos, daß Sie pünktlich sind: Ich wußte gleich, daß ich mich auf Sie verlassen kann. Am besten, wir stecken uns in die gleiche Ecke. Was wir durchzusprechen haben, verträgt keine Zuhörer.«
Etwas schien mir in seinem laschen Wesen verändert. Erregt und beherrscht zugleich stapfte er voran in das Lokal und befahl der eilfertigen Kellnerin beinahe grob: »Einen Liter Wein. Denselben wie vorgestern. Und lassen Sie uns dann allein. Ich ruf Sie schon.«
Wir setzten uns. Noch ehe die Kellnerin den Wein recht niedergestellt, hatte er schon begonnen:
»Also knapp und klar – ich muß mich eilen, sonst wittern die draußen Lunte und reden sich ein, daß wir hier allerhand konspirieren. Schon das war eine Viechsarbeit, den Chauffeur abzukappen, der mich coûte que coûte sofort hinausspedieren wollte. Aber gleich in medias res, damit Sie wissen, was gespielt wird!
Also – vorgestern früh erhalte ich ein Telegramm. ›Bitte Sie, verehrter Freund, baldigst zu kommen. Erwarten Sie alle ungeduldigst. Vertrauensvoll dankbar Ihr Kekesfalva.‹ Schon diese gehäuften Superlative ›baldigst‹ und ›ungeduldigst‹ entzückten mich nicht. Warum plötzlich so ungeduldig? Ich habe Edith doch erst vor ein paar Tagen untersucht. Und dann: wozu telegraphische Versicherung seines Vertrauens, wofür die besondere Dankbarkeit? Nun, ich nahm die Sache keineswegs hitzig und legte das Telegramm ad acta; schließlich leistet der Alte sich öfters solche Raptusse. Aber das gestern früh gab mir doch einen Ruck. Da kommt ein endlos langer Brief von Edith, ein total verrückter und ekstatischer Expreßbrief, sie hätte von Anfang an gewußt, ich sei der einzige
Weitere Kostenlose Bücher