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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Stampfen, schweres Atmen. »Mark? Da oben ist nichts. Ich habe in alle Schränke geschaut.« Jetzt bog Jo um die Ecke, sah die Eichentür mit der Kette und erstarrte. Marks Blick blieb am Zifferblatt seiner Armbanduhr hängen. 22:06 Uhr.
    »Was zum…« En gurgelndes Husten. Jo hatte sich verschluckt. Nach Luft ringend, näherte er sich. Mark untersuchte inzwischen die ineinander verschlungene Kette und das Schloss.
    »Lara? Bist du da drin?« Jo hatte sich neben den Psychologen gedrängt und begann, an das Holz zu trommeln. Dann presste er das Ohr an die Bohlen, lauschte. Schlug erneut die Faust an die Tür.
    Mark hatte unterdessen alle Schlüssel auf dem Boden ausgebreitet und durchforstet.
    »Warten Sie!« Er erhob sich, ein rostiges kleines Ding in der Hand. Seine Finger zitterten so sehr, dass es ihm zuerst nicht gelang, den Schlüssel ins Schloss einzuführen, doch dann glückte es. Jo schnaufte direkt neben seinem Ohr, und Mark verspürte das brennende Verlangen, den Mann anzuschreien, er möge sich beherrschen.
    Mit einem Knirschen begann der Schlüssel sich zu drehen. Jo hielt für eine Sekunde den Atem an, dann schnappte er nach Luft. Es klackte metallisch, der Bügel öffnete sich, Mark löste das Schloss aus den Kettengliedern, und dann zogen und zerrten sie gemeinsam, bis sich die vielfachen Verschlingungen zu lösen begannen. Mit einem bösartigen Rasseln glitt die Kette zu Boden. En schabendes Geräusch begleitete das
Verschieben der Riegel. Sie hielten beide einen Herzschlag lang inne.
    Was würden sie in diesem Verlies finden? Laras Leiche, gefoltert, gequält? Oder lebte die Freundin noch, war lediglich bewusstlos, hilflos zwar, aber nicht tot? Bilder ausgeweideter Frauenkörper zuckten durch Jos Kopf.
    Mark betastete den Griff und verschwieg seinen Verdacht, dass dieses Schloss und die Kette seit Jahren von niemandem berührt worden waren und dass Lara nicht hier war. So stark sein Geist sich an diese Möglichkeit geklammert hatte, so deutlich war ihm jetzt bewusst, dass der Rost am Schlüssel und die festgefressenen Verknotungen der Kette dagegen sprachen.
    Quietschend öffnete sich die Tür. Zwei Augenpaare folgten dem Lichtstreif aus dem Gang, der schon nach wenigen Metern von der Schwärze aufgesogen wurde. Jo reagierte als Erster, trat einen Schritt nach vorn und suchte nach dem Schalter. En erschöpftes Knistern, ein asthmatisches Flackern, dann brannte die rußgeschwärzte nackte Glühbirne ruhig. Es roch nach jahrzehntealtem, vertrocknetem Staub.
    Jos Unterlippe zitterte. Mark befahl seinem Gehirn zu arbeiten, herrschte sich selbst an: Denk nach, Idiot, denk nach! Inspiziere den Raum, analysiere ihn! Er tat zwei Schritte nach vorn und sah sich um; musterte die fleckige Matratze, das klapprige Tischchen daneben, den Stuhl. Kindlich anmutende Kritzeleien an den Wänden waren durch die ehemals weiße Tünche durchgeschlagen.
    Was immer sich hier abgespielt haben mochte – es war Jahrzehnte her.
    »Gehen wir wieder nach oben.« Marks Stimme klang jetzt matt, er fühlte sich ausgebrannt, leer. Jo tappte, den Kopf gesenkt, noch immer sprachlos, hinter ihm drein.

    Die ganze Aktion schien Stunden gedauert zu haben. In Wirklichkeit waren jedoch gerade einmal zehn Minuten vergangen. Hintereinander stiegen sie die Kellertreppe wieder hinauf.
    Den zwei mal einen Meter großen Tresorraum hinter den Metallregalen mit den Konserven hatten die beiden Männer nicht gefunden. Und auch die Polizei würde Tage brauchen, das gut getarnte Versteck zu finden.
     
    »Wir können nichts mehr tun.« Es hörte sich endgültig an. »Hier ist Lara nicht.« Jo steuerte die Küche an und verdrängte die Vorstellung von im Mondlicht schwarzglänzenden Blutlachen, von leichenblasser Haut und klaffenden Wunden und wunderte sich über den gleichzeitig auftauchenden Gedanken, dass es kein Mondlicht geben würde, weil gestern Neumond gewesen war. Sein Gehirn speicherte und verknüpfte Nutzloses und Wichtiges.
    »Suchen wir nach anderen Anhaltspunkten, wo Lara sein könnte.« Die Hoffnung, dass sie noch lebte, war geringer geworden, aber Mark weigerte sich aufzugeben. Er öffnete die Wohnzimmertür. Sie hatten das Licht angelassen. En Falter gaukelte um die Designerlampe. Zweiundzwanzig Uhr zwanzig. Die Polizei würde bald hier sein.
    Wie gestrandete Wale wölbten zwei mächtige Ledersessel ihre Rücken vor dem niedrigen Couchtisch. Marks Schienbein erinnerte ihn mit einem Pochen daran, dass das Möbelstück scharfe Kanten

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