Ungeheuer
war.
Nur Laras Großmutter hatte den Finger auf die Lippen gelegt, gezwinkert und ihr zugeflüstert, dass sie ihr später alles erklären werde.
Später – das war gewesen, als Lara schon im Teenageralter gewesen war, dreizehn oder vierzehn. Und natürlich hatte sie der Oma keinen Deut von dem Gerede um die »Gabe« und »Prophezeiungen« abgenommen. Eigentlich glaubte sie es bis heute nicht.
Laras Blick kehrte zu den Notizen zurück. Da standen die Fakten, schwarz auf weiß.
Die Opfer waren nicht nur am gleichen Wochentag verschwunden und wiesen, wenn man den Berichten glauben konnte, ähnliche Verletzungen auf; nein, sie hatten sogar ähnlich ausgesehen – zierlich, lange blonde Haare, jung, hübsch.
Sie wunderte sich, dass das noch niemandem aufgefallen war. Oder hatte es die Kripo längst bemerkt, hielt diese brisante Information jedoch unter Verschluss? Lara dachte darüber nach, dass einige der Merkmale auch auf sie zutrafen. Die Weinschorle hinterließ ein Prickeln am Gaumen.
Das Einzige, was nicht zusammenpasste, waren die Tatorte. Neustrelitz und Wernigerode lagen mehrere hundert Kilometer auseinander. Aber fuhren Täter nicht heutzutage große Strecken?
Nachdem die Recherchen fürs Erste beendet waren, hatte Lara lange überlegt, ob es richtig war, Mark mit ihren Erkenntnissen
zu »beglücken«. Was, wenn sie recht hatte und ein Serientäter am Werk war?
Kriminalkommissar Stiller und seine Beamten konnte sie vergessen. Auch die Kollegen in der Redaktion würden sich wahrscheinlich eher über ihre Erkenntnisse lustig machen, als sie ernst zu nehmen. Die Familie würde ihr vielleicht aufmerksam zuhören, konnte aber nichts bewirken. Das Gleiche galt für ihre Freundinnen. Lara brauchte jemanden, der sie gut genug kannte, um die Sache nicht gleich als Spinnerei abzutun, und gleichzeitig die Möglichkeit hatte, selbst Nachforschungen anzustellen.
Sie trank das Glas leer und stellte es ab. Das Handy wartete auf der Tischplatte. Es war schon halb zehn. Wenn sie jetzt nicht anrief, konnte sie das Ganze für heute vergessen. Sie musste jetzt etwas unternehmen. Das bedeutete allerdings, dass sie ihn zu Hause würde anrufen müssen. Unschlüssig betrachtete Lara den Eintrag im Telefonbuchspeicher. Ihr Daumen senkte sich auf die »Anrufen«-Taste und hob sich wieder. Was sollte sie sagen, wenn seine Frau abnahm? Sie kannte Anna nur aus Marks Erzählungen. Würde sie es ihr abnehmen, dass Lara spät abends nur wegen einer dubiosen Vermutung bei ihrem Mann anrief?
Und Lara hatte noch immer keine Vorstellung, ob Mark ihr die Geschichte abkaufen würde, aber sie brauchte seine Hilfe. Schließlich war er Experte in solchen Dingen. Morgen war schon Donnerstag. Die Frauen waren bisher immer freitags verschwunden. Was, wenn der Täter schon die Nächste im Visier hatte?
»Grünthal.«
»Mark? Hier ist Lara.« Sie unterdrückte ein erleichtertes Seufzen. Jetzt würde sich alles zum Guten wenden.
Lisa legte auf und schob die Lippen nach vorn. »Ich versteh das nicht. Vorhin, in der Bibliothek, hat Ann-Kathrin gesagt, ich solle sie anrufen.« Dass eigentlich sie es gewesen war, die der Freundin den Anruf versprochen hatte, war Lisa entfallen. »Warum geht sie dann jetzt nicht ran?«
»Vielleicht ist sie mit Robert im Bett.« Paul grinste und ließ das Bier aus der Flasche in seinen Mund laufen.
»Um diese Zeit?« Lisa sah zur Uhr. »Es ist erst halb zehn. Glaub ich nicht.«
»Versuch es eben in einer halben Stunde wieder.«
»Ich probier es lieber gleich noch mal.« Lisa drückte die Wahlwiederholung, presste den Hörer ans Ohr und legte dabei den Kopf schräg.
Paul hielt seine leere Flasche hoch, machte ein Zeichen, dass er sich noch eins holen würde, und verschwand im Flur.
Als er zurückgekehrt war, sah er, wie seine Freundin das Telefon in die Ladestation zurücksteckte und die Schultern hob. »Nichts. Nicht mal die Mailbox. Da ist bestimmt was passiert!«
»Ach was. Dass du immer gleich so übertreiben musst. Was soll denn da passiert sein!« Paul entkorkte die Flasche mit den Zähnen.
»Ich könnte höchstens mal bei Robert anrufen.« Ann-Kathrin und Robert wohnten zwar nicht zusammen, aber vielleicht wusste er, wo seine Freundin steckte. Lisa nahm das Telefon wieder an sich. Paul setzte sich neben sie und verdrehte die Augen.
Aus den Gesprächsfetzen entnahm er, dass Ann-Kathrins Freund auch nicht wusste, wo sie sich aufhielt.
»Scheiße. Ich mache mir wirklich Sorgen. Was, wenn ihr
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