Ungeheuer
nur noch ein paar Schritte. Jetzt! Sein Fuß senkte sich auf das Gaspedal.
Die schwere Eingangstür wurde aufgestoßen. Gelbes Licht flutete auf den Gehweg. Zwei junge Männer traten auf den Bürgersteig. Einer von ihnen hob grüßend die Hand und wartete dann, bis die junge Frau heran war. Im Vorbeifahren sah Doctor Nex, dass die drei sich angeregt unterhielten. Er verbot sich, mit quietschenden Reifen davonzupreschen, beschleunigte stattdessen nur moderat und grub dabei die Zähne so fest in die Unterlippe, dass es schmerzte.
Alles war so gut gelaufen, und nun hatten ihm diese beiden
Lackaffen im letzten Moment die Tour vermasselt! Er bog um die nächste Ecke und gestattete sich erst jetzt einen wütenden Aufschrei. Sein Gesicht im Rückspiegel glich einer wutverzerrten Karnevalsmaske, die Finger krallten sich um das Lenkrad. Er trat das Gaspedal durch. Sie war ihm entwischt!
Das konnte Doctor Nex sich nicht bieten lassen. Er musste diese kleine Prinzessin haben, komme, was wolle.
Erst nach zehn Minuten viel zu schneller Fahrt beruhigte sich der Aufruhr in seinem Innern etwas, und er begann nachzudenken.
Morgen war Donnerstag. Er würde nicht vor dem Abend von seinen Praxisbesuchen zurück sein, schließlich durfte er die Arbeit nicht vernachlässigen.
Das bedeutete, er konnte sich erst am Freitag wieder um die Kleine kümmern. Aber vielleicht war das auch besser so, denn dann hatte er das ganze Wochenende Zeit, sich mit ihr und der Jagd zu befassen und sein Kunstwerk zu vervollständigen.
14
»Und, willst du es heute noch einmal versuchen?« Tom schaute kurz zu Lara, dann schwenkte sein Blick zu Isabell, die gerade hereingestöckelt kam. Der Rock, den die Praktikantin heute trug, war kein Rock, sondern eher ein breiter Gürtel. Isabell zwinkerte Tom zu, machte eine Winkbewegung zu Lara und ging zu einem Regal mit Nachschlagewerken.
»Das habe ich vor. Ich weiß schließlich immer noch nicht, was die Todesursache im Fall Dennis war. Und unsere Leser
somit auch nicht. Allmählich müssten die Ermittler doch etwas herausgefunden haben.«
»Das ist anzunehmen. Aber ob sie es dir auch sagen?« Tom blickte noch immer zu dem Regal, vor dem Isabell stand. Die Praktikantin beugte sich nach vorn und suchte nach etwas. Lara beobachtete, wie Toms Adamsapfel sich beim Schlucken bewegte. Wenn das Mädel sich auch nur noch einen Millimeter weiter nach vorn krümmte, würde man ihr Höschen sehen können. Und genau darauf hoffte anscheinend ihr Kollege.
»Ich versuch es besser gleich. Nachher sind wieder alle beim Mittag. Hoffentlich ist nicht wieder Kommissar Stiller dran.« Tom hörte gar nicht zu. Er leckte sich die Lippen. Gleich würde er zu sabbern beginnen. Lara verkniff sich ein abschätziges Lächeln und griff zum Telefon.
»Danke. Das ist ganz nett von Ihnen. Ab siebzehn Uhr? Gern.« Lara legte auf und atmete durch. Kriminalobermeister Schädlich war freundlich. Das Ganze könnte eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Presse und Polizei ergeben. Wenn er nicht so einen bockigen Vorgesetzten hätte.
Während sie telefonierte, war Tom aufgestanden, zum Regal gegangen und hatte so getan, als wollte er Isabell bei der Aktensuche unterstützen. In Wirklichkeit hatte er die Gelegenheit jedoch genutzt, der Praktikantin ein bisschen näher zu kommen, mittlerweile stand er halb hinter ihr und schaute über ihre Schulter auf das Regal.
Lara spürte ihre Blase, nahm die Handtasche von der Stuhllehne und erhob sich. En schneller Seitenblick auf dem Weg nach draußen zeigte ihr, dass zwischen die beiden kein Blatt Papier mehr passte.
Sie unterdrückte ein Hüsteln und ging zur Toilette.
Das Plätschern verstummte, und Lara hob ihre Handtasche auf den Schoß und suchte nach dem kleinen Etui mit den Tampons. Im Innern des Lederbeutels herrschte ein heilloses Durcheinander. Während sie noch zwischen all den Utensilien nach dem Täschchen kramte, klappte die Tür. Kichern und Girren. Lara hielt inne und erstarrte. Das leise Getuschel kam abwechselnd von einer tiefen und einer hohen Stimme. Die hohe Stimme seufzte anhaltend. Dann fiel in der Nachbarkabine die Tür zu. En Riegel kratzte über das dünne Holz. Keuchendes Atmen setzte ein.
Lara beugte sich nach vorn und versuchte, unter dem Rand nach drüben zu spähen. Sie neigte sich noch weiter vor.
Da standen Turnschuhe, mindestens Größe 43, darüber schwarze Jeans. Davor befanden sich in umgedrehter Richtung Stöckelschuhe, die genauso aussahen wie die,
Weitere Kostenlose Bücher