Ungeheuer
in mich hineingeschnitten hat, direkt in meinen Unterleib.« Jetzt öffnete sie ihre Augen wieder und sah ihr Gegenüber an. Mark hatte seinen Psychologenblick aufgesetzt; streng, ein bisschen väterlich.
Zumindest machte er sich nicht lustig. »Ich verstehe. Und ich denke, ich kann dir nachher dazu eine Erklärung geben. Ob du sie akzeptierst, ist eine andere Sache.«
»Ich war schon bei meinem Arzt, weil ich fürchtete, dass es ein Hirntumor sein könnte.«
»Das ist es sicher nicht. Bleib ruhig. Ich würde mit dir gern erst die Tatsachen zu Ende besprechen, ehe wir auf das Thema ›Vorhersehung‹ kommen.«
»Du hast recht, eins nach dem anderen.«
»Im Wald wurde ein Teil des Herzbeutels gefunden, den
er – ich sage jetzt bewusst ›er‹, weil ich davon ausgehe, dass es ein Mann ist – am Tatort hat liegen lassen. Wahrscheinlich brauchte er ihn nicht.«
»Aber was will er denn überhaupt mit den ganzen Körperteilen?« Lara flüsterte, rieb sich dabei die Arme, als fröre sie. Das Flirten war ihr gründlich vergangen.
»Wenn wir das wüssten … Ich kann nur Vermutungen anstellen. Es hat in den fünfziger Jahren in den USA einen Serienmörder gegeben, der seinen Opfern auch Organe und Hautstücke herausgeschnitten hat – Edward Theodore Gein. Nach ihm wurden Filme gedreht und Bücher geschrieben, wie zum Beispiel Psycho von Alfred Hitchcock, The Texas Chainsaw Massacre und Das Schweigen der Lämmer , um nur drei davon zu nennen.«
»Das ist abartig.«
»Das ist es wohl. Aber wir müssen die Fakten so hinnehmen, wie sie sind.« Mark beugte sich wieder vor und stützte das Kinn auf die ineinandergefalteten Hände. »En hässliches Thema für einen Sommerabend im Juli.«
»Erzähl mir mehr von diesem Edward Gien.«
»Edward Gein. Bist du sicher, dass du das hören möchtest?«
»Ich finde es widerlich, aber irgendwie fasziniert es mich auch. Das Schweigen der Lämmer und Hannibal Lecter kenne ich natürlich, aber den Namen Edward Gein höre ich zum ersten Mal.«
»Eigentlich war in dem Bach nicht Hannibal Lecter Ed Gein nachempfunden, sondern einer seiner Patienten, Buffalo Bill. Das war der, der die Frauen gekidnappt und sich Kleidungsstücke aus Menschenhaut genäht hat.«
»Ich erinnere mich.« Lara nahm ihre Jacke von der Stuhllehne und legte sie sich über die Schultern. Sie hatte das Bach
gelesen und auch den Film gesehen. Der Perverse hatte an der Nähmaschine gesessen und vor dem Spiegel getanzt. Was er da nähte, war der Fantasie überlassen worden.
Mark wartete, bis der Kellner ihnen nachgeschenkt hatte, ehe er leise weitererzählte.
»Also, dieser Edward Theodore Gein lebte in Wisconsin. Seine Mutter war dominant, sehr streng und zudem tief religiös. Sie erzog ihn und seinen älteren Bruder nach einem strengen Moralkodex. Alle Frauen waren in ihren Augen unmoralisch und schlecht. Sexuelle Gedanken führten direkt in die Hölle, soll sie gepredigt haben. Eds Vater dagegen, ein Alkoholiker, war in ihren Augen ein Schwächling, eine wertlose Kreatur, der keinen Job behalten konnte und bei der Erziehung der Jungen nichts mitzureden hatte. Ich vereinfache und reduziere das Ganze, aber das ist eine klassische Konstellation für psychische Fehlprägungen.«
»Ich kann es mir lebhaft vorstellen.«
»Auch Ed Geins Bruder ist übrigens unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Aber das lasse ich jetzt mal beiseite.« Mark sah sich um. Von den Nachbartischen kamen leises Gemurmel und ab und zu ein kullerndes Lachen herüber. Kleine, bunte Papierlampions schaukelten in der Abendbrise vor den Fenstern.
»Als Geins Mutter an den Folgen eines Schlaganfalls starb, war er allein auf der Farm. Er verschloss die Räume, die seine Mutter genutzt hatte; also ihr Schlafzimmer und das Wohnzimmer und benutzte auch die Treppe zum oberen Stockwerk nicht mehr.«
»Genau wie in Psycho .« Lara schauderte. Sie hätte jetzt gern einen Kognak getrunken.
»Dieser Fall muss Alfred Hitchcock sehr fasziniert haben. Wobei – über den vermuteten Kannibalismus des Täters hat
sich Hitchcock in seinem Film bedeckt gehalten. Manche glauben, das deutlich zu sehende Kauen von Norman Bates, nachdem er den Wagen des Privatdetektivs Arbogast versenkt hat, sollte eine Anspielung darauf sein.«
»Das wusste ich gar nicht.« Lara nahm sich vor, beim nächsten Mal, wenn der Film gezeigt wurde, darauf zu achten. »Er hat Menschenfleisch gegessen?«
»Edward Gein? Ich glaube schon. Gesehen hat ihn keiner dabei,
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