Ungeheuer
bereits begonnen. Auch das Foyer war wie leergefegt.
16
»Ich freu mich.« Lara löste sich aus Marks Umarmung und sah ihn an. Sein Gesicht war runder geworden, aber die Nase ragte noch immer wie ein großer Erker hervor.
»Du siehst ein bisschen erschöpft aus, meine Kleine.« Mark schlüpfte aus den Schuhen und folgte ihr in die Küche.
»Ich schlafe schlecht. Heute ist Samstag, ich hätte ausschlafen können, und doch war ich um sechs munter.«
»Die Albträume?«
»Auch. Aber lass uns nicht gleich darüber reden. Jetzt trinken wir erst einmal gemütlich einen Kaffee, und du erzählst mir, wie es bei der Tagung war, dann gehen wir etwas essen. Wir haben doch den ganzen Abend Zeit.«
Während Lara Kaffee brühte, saß Mark am Tisch, die langen Beine gerade nach vorn gestreckt, erzählte von seinen Kollegen und den neuesten Erkenntnissen in der Forschung über hemmende biogene Transmitter. Lara verstand nur die Hälfte, fragte aber nicht nach, sondern genoss einfach nur das Auf und Ab seiner tiefen Stimme.
Nach der ersten Tasse Kaffee begann er zu fragen.
Lara wälzte weichkrümeligen Kuchen im Mund hin und her und setzte dreimal zu »Peter hat eine andere« an, aber der Satz wollte einfach nicht über ihre Lippen, und so gab sie es auf.
Wahrscheinlich interessierte es ihn auch gar nicht, dass
Lara wieder allein lebte, oder – schlimmer – er würde ihre Mitteilung als einfältige Anmache auffassen. Obwohl sie in den letzten Tagen mehrmals miteinander telefoniert hatten, hatte Lara es nicht fertiggebracht, Mark von der Trennung zu berichten. So erzählte sie auch jetzt lieber wieder von ihrem Redaktionsjob und den Kollegen und fügte am Schluss als kleines Schmankerl noch die Geschichte von Tom und Isabell in der Nachbarkabine der Toilette hinzu. Marks gackerndes Lachen passte gar nicht zu seinem langen, schmalen Körper.
Mark überflog noch einmal die Weinkarte. Geduldig stand der Kellner neben dem Tisch und wartete.
»Lass uns einen trockenen Rotwein zu der ›Besprechung‹ trinken. Dann ist es nicht ganz so schauerlich, einverstanden?«
»Rotwein ist immer gut.« Lara hatte ihre Notizen schon auf dem Tisch ausgebreitet.
Sie fasste noch einmal ihre Informationen zusammen, nur kurz unterbrochen von der Rückkehr des Obers, der den bestellten Wein brachte. Auf ihren Zettel musste sie dabei nicht schauen, die Fakten hatten sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Mark nickte ab und zu bedächtig und trank zu jedem dritten Satz einen Schluck. Durch das geöffnete Fenster schlich der Abend in sanftem Rot herein und ließ sich dabei von Vogelgezwitscher begleiten.
»… die Opfer verschwanden meinen Recherchen nach beide an einem Freitag. Sie ähnelten einander wie Zwillinge, beide waren zierlich, jung und hübsch und hatten lange blonde Haare. Das kann noch Zufall sein. Aber bei beiden findet man ähnliche Verletzungen, wenn man den Berichten glauben kann. Zudem wurden beide Leichen in einem Waldstück gefunden.« En Luftzug ließ die Kerze auf dem Tisch
flackern. »Sind das nicht ein paar Übereinstimmungen zu viel? Ich bin mittlerweile überzeugt davon, dass die Fälle zusammenhängen!«
Als Lara fertig war, schwiegen sie beide ein paar Sekunden.
»Du könntest mit deinen Vermutungen recht haben.« Marks Augen waren dunkler als sonst. »Die Polizei hat mich in dem Fall Sandra Gerber inzwischen hinzugezogen. Das war das Opfer, dessen Leiche in der Nähe von Neustrelitz gefunden wurde.«
»Die Erste, aus dem Waldstück bei Wesenberg, ich weiß.« Lara atmete hörbar aus. »Du arbeitest als Fallanalytiker in der SOKO mit?« Seit sie Mark kannte, hatte Lara gelernt, dass in Deutschland ab und zu Psychologen von der Polizei zurate gezogen wurden, die »operative Fallanalytiker« hießen. Marks Berufsgenossen wehrten sich dagegen, mit den Profilern aus dem amerikanischen Raum gleichgesetzt zu werden, weil die europäischen Kollegen keine psychologischen Täterprofile erstellten, sondern anhand von Indizien, Spuren am Tatort und Umständen der Tat auf das Verhalten des Täters schlossen. Lara verstand zwar den Unterschied nicht, Profiler oder Fallanalytiker – aber das war egal. Wichtig war nur, was dabei herauskam. Vielleicht wollten sich die Deutschen einfach nur von den Amerikanern abgrenzen.
Mark schwieg, und so bohrte Lara weiter. »Also findest du auch, dass die Parallelen in den Fällen darauf hindeuten, dass es derselbe Täter ist?«
Mark nickte und presste die Lippen zusammen, ehe er
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