Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
Vom Netzwerk:
rechtschaffen müde. Der gestrige Freitag hatte ihn bis in die Morgenstunden beschäftigt, und auch heute war er fleißig gewesen. Jetzt war es an der Zeit, sich auszuruhen. Der Sonntag war ein Feiertag. Auch für Doctor Nex.
    Die Kleine – Ann-Kathrin war ihr Name – hatte es ihm wirklich nicht leicht gemacht. Und doch waren das Verfolgen, das Ausspähen ihrer Wohnung, das Hinterherfahren, das heimliche Beobachten des zukünftigen Opfers, ohne dass dieses etwas davon ahnte, erregend gewesen. Am Ende wäre sie ihm fast noch entwischt. Der Mann nahm einen Schluck, schnüffelte und drückte die eisige Flüssigkeit mit der Zunge
an den Gaumen. Der Gin führte einen Geruch nach Wald mit sich und untermalte so seine Erinnerung.
    Diese Ann-Kathrin hatte beim Tasern noch heftiger gezappelt als ihre Vorgängerin. Genau wie vorgestern hatte er sie bis zum Abend ein paar Stunden beschattet. Als sie sich dann von ihrem pickelgesichtigen Freund getrennt hatte und in die andere Richtung gelaufen war, war ihm klar, dass das Schicksal ihm heute Abend wohlgesinnt sein würde. Die Kleine hatte noch einen Einkauf in einem winzigen Tante-Emma-Laden erledigt – Zigaretten, wie er später beim Durchsuchen ihrer Tasche festgestellt hatte. Als beim Herauskommen das Licht über dem Ladeneingang ihr Haar zum Leuchten brachte, hatte er gewusst, dass er nicht noch länger auf dieses delikate kleine Ding warten wollte. Danach war alles ziemlich schnell gegangen. Er hatte sie überholt, an einer dunklen Ecke angehalten und war, den Stinger-Taser im Ärmel verborgen, ausgestiegen, als sie nah genug herangekommen war. Aus ihrem Mund war ein kleiner Schreckenslaut gekommen, dann hatte sie nur noch konvulsivisch gezuckt. Und inzwischen zuckte gar nichts mehr an dem, was einmal Ann-Kathrin gewesen war.
    Auf der Fahrt zu dem Waldstück, das er am Vortag ausgesucht und gründlich inspiziert hatte, erklang plötzlich leise Musik, und er hatte eine Weile gebraucht, um herauszufinden, dass die Melodie von ihrem Handy kam. Da machte sich anscheinend jemand schon nach so kurzer Zeit Sorgen. Nach der Ankunft am Ausgangspunkt seiner Jagd hatte er das Telefon in ihrer Tasche gesucht. Auf dem Display stand: zwei Anrufe in Abwesenheit und der Name »Robert«. Robert musste ihr Freund sein. Doctor Nex hatte das Handy abgeschaltet. Robert würde noch früh genug erfahren, dass seine Freundin nie wieder Zeit für ihn haben würde.

    Und nun lag die süße kleine Ann-Kathrin irgendwo, den bleichen Körper nur spärlich mit Laub und Nadeln bedeckt, die leeren Augenhöhlen blicklos in die Nacht stierend, und wurde von eifrigen Fliegen und Käfern besucht.
    Der Mann ließ den Blick über die grünen Nähte der Skulptur gleiten und betrachtete dann die daneben aufgereihten Gläser mit den neuesten Objekten.
    Wie gut, dass er diesmal daran gedacht hatte, auch die Augen an sich zu nehmen. En Paar Augen machte sich immer gut an einer expressionistischen Skulptur.
    Leider hatte sich die Hornhaut im hochkonzentrierten Alkohol sofort weißlich eingetrübt, was ihm im Dunkel der Nacht gar nicht aufgefallen war. Das ließ sich nicht umgehen. Trotzdem konnte man später immer noch sehen, dass es sich um Augen handelte. Und das war das Ausschlaggebende.
    Doctor Nex erhob sich. Es wurde Zeit, dass er seine Arbeit beendete, die Objekte und das unfertige Kunstwerk im Kühlschrank verstaute, die Küche wieder in ihren aufgeräumten Ausgangszustand versetzte und sich ausruhte. Morgen war auch noch ein Tag.
    Er zwinkerte den beiden milchigen Augenkugeln in ihrem Glas zu und war gespannt, wer ihre blinde Besitzerin diesmal finden würde. Dieses Spiel konnte nur einer gewinnen.

17
    »So, das dürfte es gewesen sein.« Lara betrachtete das Word-Dokument noch ein letztes Mal. All ihre Erkenntnisse und Marks Hinweise waren jetzt gespeichert. Zumindest soweit sich ihr umnebeltes Gehirn daran erinnern konnte. Nach dem
Aufwachen heute Vormittag hatte sie eine Stunde gebraucht, um ihre Gedanken zu ordnen, sich im Anschluss ein paar unerquickliche Minuten lang für ihre unbeherrschte Gier nach Marks Körper geschämt und schließlich ihr Gewissen damit beruhigt, dass nichts passiert war.
    Zur Sicherheit und weil sie morgen während der Arbeit weiter zu dem Thema recherchieren wollte, speicherte sie alles auch auf ihrem USB-Stick.
    Mark hatte vor fünf Minuten angerufen und sich für einen kurzen Abschiedsbesuch angemeldet. Seine Fortbildung war beendet, und er wollte sich noch auf einen

Weitere Kostenlose Bücher