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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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die Augen und begann zu würgen.

24
    Die seltsam aussehende Schüssel bestand aus der Schädeldecke eines menschlichen Kopfes, Lampenschirme und Abfalleimer waren aus Menschenhaut gemacht. En makabres Einrichtungsstück war gerade in Arbeit: ein Stuhl, mit menschlicher Haut überzogen. Weibliche Genitalien fand man in einem Schuhkarton, auch einen Gürtel aus Brustwarzen, einen menschlichen Kopf, vier Nasen, ein Herz… Doctor Nex fädelte neongrünen Zwirn ins Nadelöhr und zog dabei die Oberlippe zu einem unbewussten Grinsen hoch. Lauter sinnlose Einzelteile. Allerdings – das Beziehen eines Stuhls mit Menschenhaut hatte etwas.
    Er hatte die Informationen über Bruder Ed so oft gelesen, dass er sie auswendig wusste, sie tauchten in seinem Kopf auf wie züngelnde Boten einer düsteren Parallelwelt. Je länger man sich im Haus umsah, desto mehr grauenhafte Trophäen wurden gefunden. Das Schlimmste für die Polizisten waren wohl ein Kleid und Gesichtsmasken aus Menschenhaut. Sie waren erschüttert, als sie die Zahl der Frauen schätzten, die durch Geins Hand gestorben sein mussten. Seine bizarre Arbeit machte Gein jedoch sehr schnell auch zu einer Berühmtheit.

    Eine Berühmtheit, genau. Noch heute sprachen die Menschen von Edward Theodore Gein. Die gebogene Nadel vollführte eine elegante Drehung, umschlang dabei das Fadenende, und Doctor Nex zog den Knoten fest. Die Augen der leichtsinnigen Tschechennutte starrten ihn vorwurfsvoll an. Aus ihrem Hals suppte noch immer rötliche Flüssigkeit zäh in die Sezierschale.
    Die kleine Hure konnte jetzt besser hören, auch wenn ihr das nichts mehr nützte. Je ein weiteres Ohr war mit neongrünem Garn vor ihrem Originalohr angenäht. Doctor Nex grinste. Es war skurriler Humbug, aber es war auch lustig. Quattrofonie am Nuttenkopf.
    Dann griff er zum »scharfen Löffel«, einem Gerät, das vom Aussehen her einer winzigen Schöpfkelle glich, nur dass die »Kellenränder« messerscharf geschliffen und der Griff viel massiver und genoppt war, damit die Finger nicht abrutschen konnten. Ärzte verwendeten das Instrument meist zum Herausschälen von kleineren Hautstückchen, vereisten Warzen oder Ähnlichem.
    Ohne Widerstand glitt der scharfe Löffel zwischen Augapfel und Augenhöhle nach hinten. Doctor Nex drehte die kleine Kelle vorsichtig, damit das Auge nicht beschädigt wurde, und bewegte sie dabei behutsam vor und zurück, um den Sehnerv vollständig zu durchtrennen. Dann löffelte er den Augapfel aus der Höhlung und ließ ihn in die vorbereitete Lösung gleiten. Das zweite Auge folgte. Trüb starrten die weißen Kugeln mit den hellblauen Kreisen in der Mitte aus der Flüssigkeit heraus auf ihren Herrn. Zwei marmorierte Murmeln. Er stellte das Glas beiseite und zwinkerte den Kugeln zu. Sie würden später am Gesamtkunstwerk zur Verwendung kommen. Es war nicht ideal, dass sich die Hornhaut vor der Pupille trübte, ließ sich aber seiner Kenntnis nach nicht vermeiden.

     
    In der Schreibtischschublade warteten Ersatzaugen für die Kreation. Er bewahrte sie dort seit seiner Kindheit in einem Kästchen auf, als er eine »Operation« an einer kindsgroßen Puppe, die bis dahin immer artig und unbeweglich in der Sofaecke seiner Tante Emilie saß, vorgenommen hatte.
    Das geschnitzte Holzkästchen klappte auf, und er bewegte es so weit nach vorn, dass sich die Lider mit ihrem leisen Klackgeräusch über die dunkelblau bemalte Iris senkten.
    Tante Emilie hatte bis zu ihrem Tod nie erfahren, wohin ihre Klara mit den schönen Schlafaugen verschwunden war. Die auf- und abklimpernden Plastiklider mit den langen schwarzen Wimpern hatten ihn in ihren Bann gezogen, seit er denken konnte, und eines Tages hatte er Klara entführt und im Wald, gleich hinter Tante Emilies Häuschen, operiert. Die Bestürzung, dass der rosa Puppenkörper innen komplett hohl gewesen war, fühlte er heute noch.
    Doctor Nex zog die Handschuhe in Richtung Handgelenk und stellte Klaras Augenkästchen neben den Schädel der Tschechennutte. Die dunkel-blutigen Augenhöhlen verliehen ihrem Kopf ein unfertiges Aussehen, aber diesen Makel würde er gleich beheben. Vorsichtig fuhr er mit dem Wattestäbchen in das Innere, säuberte die Höhlung und wiederholte das Ganze mehrmals mit frischen Tupfern. Er würde das hintere Ende mit etwas Mull auspolstern müssen, da Klaras Schlafaugen ein bisschen zu klein für die Höhle waren.
    Nachdem alles an Ort und Stelle eingeklebt war, griffen die Chirurgenhände nach dem Kopf und

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