Ungeheuer
ähnlich stinkenden Penner mit einem Karton in der Tür stehen.
Gleichzeitig lallte der Mann: »Herrn Elbeh such isch!« Hubert deutete auf Lara, wollte etwas sagen, schlug im gleichen Moment die Hand auf den Mund und schaute sie mit weit aufgerissenen Augen an.
Der sabbernde Mund des Besuchers klappte mit einem hörbaren Schnappen zu, und seine Augen schienen kurz zu glühen, ehe sie wieder ihren trüb-abwesenden Blick annahmen.
»Ah. Sie sind Elbeh. Das iss dann wohl für Sie.« Der Penner grinste kurz. Weiße, gleichmäßige Zähne wurden sichtbar, bevor er den Mund schnell wieder schloss. Jetzt beugte er sich zur Seite, schob mit dem Fuß ein Päckchen herein, das im Hausflur gestanden haben musste, und wich zurück. Das Ganze dauerte keine zehn Sekunden.
»Halt! Dageblieben!« Hubert erwachte endlich aus seiner Starre, in die er beim Auftauchen des Penners gefallen war, und hastete zur Tür. »Wir haben ein paar Fragen an Sie!« Der Penner jedoch rannte schon die Stufen hinunter. Hubert humpelte hinterher. Lara stierte auf das Paket, ohne etwas zu sehen.
Neongrüner Zwirn zu kleinen Knötchen verschlungen.
En halboffener Mund, eingesunken, mehrere Ohrmuscheln.
Lara zwang sich, die Augen abzuwenden. Im Unterbewusstsein hörte sie Hubert die Treppen wieder nach oben stampfen.
Blaue Puppenaugen schlossen sich in Zeitlupe. Öffneten sich wieder. Schauten vorwurfsvoll.
»So ein Mist. Der Typ war deutlich schneller als ich alter Knochen. Auf einmal konnte der rennen, das glaubst du nicht!« Hubert machte einen Bogen um den Karton. »Ich ruf die Polizei an.« Erst jetzt sah er den abwesenden Blick seiner Kollegin. »Was ist denn los?« Etwas lauter: »Lara?«
»Entschuldige.« Sie schluckte. »Ich fürchte, ich weiß, was da drin ist.«
»Ich ahne es auch.« Er schüttelte sich, kam näher und tätschelte ihre Schulter. »Tut mir leid.«
»Was tut dir leid?«
»Dass ich vorhin auf dich gezeigt habe, als der Typ nach ›LB‹ gefragt hat. Das war ein Reflex.«
»Das macht nichts. Diesem Penner ist das, glaube ich, egal.« Lara fingerte nach ihrem Handy. Natürlich machte es etwas. Aber die Ereignisse ließen sich nicht zurückdrehen.
»Du weißt , was da drin ist?« Hubert zeigte mit der Linken auf das Päckchen. Mit der Rechten wählte er.
»Ich weiß es, du weißt es. Machen wir uns nichts vor.«
»Das muss nicht so sein. Es steht überhaupt nichts außen drauf.« Hubert machte ihr ein Zeichen, dass am anderen Ende jemand abgenommen hatte, und begann seinen Bericht abzuspulen.
Lara wählte Marks Nummer. Es war Zeit, Rat einzuholen.
25
Im Kopf des Mannes dröhnte ein Lied, wellte nach draußen, nebelte durch sein Haus. Maurice Jarre: Doctor Zhivago. Streicher, Balalaikas, orchestrales Crescendo. Lara’s Theme.
Er summte die Melodie leise vor sich hin. Es war ein Gleichnis, ein Zeichen. Er fühlte, dass er seine Bestimmung gefunden hatte, und schloss die Augen, ließ den Film von gestern noch einmal in seinem Kopf ablaufen.
Wie der stämmige Redaktionskollege bei seiner Frage nach »LB« auf die Kollegin gezeigt hatte; sein Entsetzen darüber, dies preisgegeben zu haben, dazu gleichzeitig der ungläubige Blick der blonden Schönheit am Schreibtisch gegenüber. Natürlich war es ein großes Risiko für ihn gewesen, selbst in den Redaktionsräumen aufzutauchen. Die Leute dort hatten erst kürzlich ein einschneidendes Erlebnis gehabt, nachdem ein Penner bei ihnen aufgetaucht war und ein Päckchen abgegeben hatte. Aber Doctor Nex hatte sich unbedingt selbst ein Bild machen wollen. Zur Sicherheit und um das Überraschungsmoment auszunutzen, hatte er sich nicht mehr als ein paar Sekunden für die gesamte Aktion gegeben und sein »Mitbringsel« dann nur schnell mit dem Fuß hineingestoßen. Nicht zuletzt war Doktor Nex gut trainiert und konnte auf seine schnellen Beine vertrauen.
Insgesamt betrachtet war es eine Gefahr gewesen, die aber gleichzeitig auch eine prickelnde Erregung mit sich brachte, fast so heftig wie bei der Jagd auf lebende Beute. Er bedauerte nichts.
Melodisch säuselten die Geigen.
Auch Jurij Schiwagos Lara war blond gewesen, allerdings
ging ihr Blond mehr ins Wasserstoffgebleichte, während seine Lara – er zog wegen des Possesivpronomens kurz die Mundwinkel nach oben –, während seine Lara eine Haarfarbe hatte, die der Volksmund als Erdbeerblond bezeichnete.
Lara Birkenfeld. Inzwischen hatte er auch ihren vollen Namen herausbekommen. Immer wieder saß man Vorurteilen auf. In
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