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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Corinna Belzig liebte Waldspaziergänge. Und hier, direkt hinter der tschechischen Grenze, fand man auch die nötige Ruhe. Gleichzeitig konnte sie ihrem Kind etwas über die Tiere und Pflanzen des Waldes beibringen. Auf dem Rückweg machten sie dann immer den Tank mit billigem Benzin voll und kauften in einem der zahlreichen Supermärkte ein. Bernd liebte ihre Heidelbeerpfannkuchen im Sommer und im Herbst die Pilzomeletts. Bernd liebte es, wenn die Kleine ihm abends von den Abenteuern im Wald erzählte, von Geistern, Feen und kleinen Waldelfen.
    Lächelnd folgte Corinna Belzig ihrer Tochter, die Augen nach unten gerichtet, um nicht über eine der knorrigen
Wurzeln zu stolpern. Weiche Moospolster federten unter ihren Turnschuhen. Der Wald roch nach Kiefernharz, Erde und ein bisschen nach Honig.
    Sarah hatte sich unterdessen schon hingehockt und pflückte eifrig Beeren vom Strauch. Sie würde schnell die Lust verlieren, aber man musste das Sammeln ja nicht stundenlang ausdehnen. Es war Spaß und sinnvolle Beschäftigung gleichzeitig. Corinna Belzig hockte sich neben ihre Tochter, sammelte dunkelviolette Kügelchen in ihre Handfläche und sah sich dabei abwesend um. Der Hochwald in ihrem Rücken wirkte aus der Ferne düster. En leichter Wind war aufgekommen und rüttelte an den Kronen der Bäume. Vor ihnen befand sich eine Fichtenschonung.
    »Fertig.« Sarah hob ihr Körbchen. Es war halbvoll.
    »Fein. Ich hab auch schon viele, schau.« Corina zeigte ihrer Tochter ihren eigenen Korb. »Wir waren beide sehr fleißig.« Die Kleine nickte. Der blauverschmierte Mund verzog sich zu einem seligen Lächeln. Dann hielt sie einem Marienkäfer den Zeigefinger hin, und das Tierchen tat ihr den Gefallen und krabbelte darauf. Stolz reckte sie den Finger nach oben, wartete, bis der Käfer an die Spitze geklettert war, und juchzte, als er die braunhäutigen Flügel aufspannte und losflog.
    »Und weil wir so tüchtig waren, essen wir zur Belohnung nachher ein Eis.«
    »Juhu! Ich möchte Schoko!« Sarah hopste auf der Stelle und klatschte dabei in die Hände. Corinna schüttete den Inhalt des kleinen Korbs in den großen und nahm ihre Tochter an die Hand. »Dann los.«
    Feines Summen begleitete ihren Weg. Eine pelzige Hummel kam aus einer kleinen gelbweißen Blüte gekrochen, putzte sich die Beinchen und surrte zur nächsten Pflanze. Das Brummen verstärkte sich. Es klang, als träfen sich da vorn
Hunderte von Fliegen auf einen Sommerplausch. Corinna lächelte stärker, als sie sich vorstellte, wie sie Sarah nachher eine Geschichte vom geheimen Treff der Waldfliegen erzählte.
    Der Weg war mit braunroten Nadeln bedeckt. En Eichelhäher keckerte in der Fichtenschonung. Sarah murmelte einen Abzählreim vor sich hin, während sie die Hand der Mutter hin- und herschwenkte.
    Weiter vorn summte und surrte es unentwegt. Eine dunkelgraue Wolke dehnte sich aus und zog sich wieder zusammen, und Corinna kniff die Augen zusammen, um den anthrazitfarbenen Schleier zu fixieren. Von weitem sah es aus wie ein phänomenaler Mückenschwarm. Beim Näherkommen hörte Corinna, dass es keine sirrenden Mücken, sondern Fliegen waren. Hunderte schillernder, auf- und abschwebender Fliegen, die aufgeregt brummten.
    »Was ist das, Mama?« Sarah zeigte mit einem blau befleckten Finger auf den Schwarm.
    »Weiß ich nicht, Schätzchen. Es sieht aus wie eine Fliegenversammlung. Schauen wir einfach mal nach.« Hinterher sagte sich Corinna immer wieder, dass sie es hätte wissen müssen, dass eine solch riesenhafte Ansammlung grünschillernder Schmeißfliegen nur eines bedeuten konnte: Futter für diese Insekten. Und die Nahrung für Schmeißfliegen war nun einmal Fleisch, totes verwesendes Fleisch. Aber hier auf dem Weg zu dem »Etwas« unter den Fliegen dachte sie mit keiner Silbe daran. Und so näherte sich Corinna Belzig mit ihrer Tochter dem Summen und Brummen, gingen die beiden so dicht an den wimmelnden und wabernden Berg schillernder Insektenleiber heran, bis der Geruch sie abrupt zurückprallen ließ.
    Corinna unterdrückte ein Stöhnen, legte ihrer Tochter die Hand über die Augen und drehte sie zu sich herum. Der Korb
fiel achtlos zu Boden. Blaue Kügelchen rollten bis zu dem stinkenden Gebilde. Unter all den Krabbeltierchen blitzte fahle Haut hervor, dazwischen rotbraune, verschorfte Wundränder, geronnenes Blut. Der Fliegenberg hatte die Gestalt eines Menschen. Zuckende, wimmelnde, irisierende Arme, Beine und ein Rumpf. Kein Kopf.
    Corinna Belzig schloss

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