Ungeplant (German Edition)
immer noch riechen und schmecken, und ich habe solche Angst, dass die Erinnerung bald verblassen wird.
Vergiss mich nicht, Lina. Das ist alles, was ich mir wünsche.
Dein Sven
Von: Melina Baur
An: Sven Gutknecht
Betreff: Re: Mehr aus Down Under
Wie kommst Du auf die Idee, dass ich Dich vergessen könnte? Sven, Du bist mein bester Freund. Wir kennen uns seit 20 Jahren und Du wirst immer ein Teil meines Lebens sein. Selbst wenn wir irgendwann mit anderen Partnern verheiratet sind und Kinder haben. Das wird sich nie ändern.
Diese letzte Mail wird er mir übel nehmen, aber ich habe neben dem Kim-Drama keine Kraft, auch noch ein Liebesdrama per Mail zu führen.
Ich fahre meinen PC runter und packe meine persönlichen Sachen zusammen, um diesen Arbeitstag abzuschließen und mit meiner Schwester zu meinen Eltern zu fahren. Damit sie endlich von der nächsten Katastrophe ihrer ältesten Tochter erfahren.
„Frau Baur?“
Mein Vorgesetzter streckt den Kopf aus der Tür seines Büros und winkt mich rein.
Fantastisch. Genau das brauche ich heute auch noch.
„Ja, Herr Schneider?“
„Bitte setzen Sie sich.“
Er sortiert mit zitternden Fingern die Papiere auf seinem Schreibtisch. Vermutlich hat er heute noch nicht oft genug aus dem Flachmann in seiner Schublade getrunken. Die ganze Firma weiß, dass er Alkoholiker ist, und oftmals ein cholerischer noch dazu. Aber solange er keine schweren Maschinen bedienen muss, scheint das wohl nicht schlimm zu sein.
Ich hab weiß Gott genug eigene Sorgen und muss mich nicht auch noch um ihn kümmern.
„Sie wissen, dass ich mit Ihrer Arbeit eigentlich durchweg zufrieden bin.“
Eine Feststellung, also nicke ich zustimmend, damit er fortfährt und wir das hier hinter uns bringen.
„Frau Baur, ich mache mir Sorgen um Sie. Sie sind pünktlich, fleißig und fast ausnahmslos gründlich. Aber in den letzten Tagen scheinen Sie mir sehr abwesend, depressiv und übermüdet. Ich fürchte, dass Sie ihre alte Form nicht dauerhaft beibehalten können.“
Das sagt der Firmenalkoholiker.
Muss ich etwas erwidern, oder kommt da noch was? Denn ehrlich gesagt habe ich gar keine passende Reaktion darauf. Bis auf die paar Ringe unter den Augen und dass ich vielleicht nicht ganz so viel lächle, dachte ich eigentlich, ich hätte meine Fassade ganz gut aufrechterhalten.
„Frau Baur, verstehen Sie das nicht falsch. Ich bin zufrieden mit Ihnen und ich möchte Sie als meine Assistentin nicht verlieren. Wenn es Ihnen hilft, nehmen Sie eine Woche Urlaub, regeln Sie ihren Kram, was immer es auch ist und dann kommen Sie in alter Form wieder zurück.“
„Ich brauche keinen Urlaub. War das alles?“
Das kam vielleicht pampiger rüber als beabsichtigt, aber was soll ich mit Freizeit? Noch mehr Zeit zum Nachdenken? Zum Sven vermissen? Zum Gedanken machen über Kim und das Baby?
„Das war alles. Denke ich.“
Er sieht mich verblüfft an, da er ein solches Verhalten von mir nicht kennt.
„Schönen Feierabend, Herr Schneider. Bis morgen.“
Es herrscht ein verdammter Sturm um mich herum und mein Anker ist auf einem anderen Kontinent.
Mit meinem breitesten Grinsen sitze ich bei meinen Eltern am Esstisch. Warum ich grinse? Damit ich nicht in Versuchung komme, zu heulen oder laut zu schreien.
„Endlich ein Enkelkind. Ich freue mich ja so, dass ich das noch erleben kann.“
Meine Mutter streicht sich über die Schürze, die ihren geblümten Rock schützt, und grinst wie ein Honigkuchenpferd. Machen wir uns nichts vor, meine Mutter ist eine alte Frau, eine andere Generation. Aber in solchen Momenten sehe ich, woher Kim ihre kindliche Naivität hat. Auch mein Vater spielt den stolzen Opa und streicht seiner Prinzessin über den Bauch.
Ich bin mir sicher, dass ich mich deutlich artikuliert habe. Meine Eltern müssen verstanden haben, dass Kim keinen Vater zu dem Kind hat und auch niemals haben wollte. Dennoch ignorieren sie diese Tatsache. Hauptsache ein Enkelkind. Nach uns die Sintflut.
Mein Vater trinkt Bier aus der Flasche und grinst zufrieden vor sich hin. Seine positive Einstellung heißt vielleicht auch nur Pils, denn eigentlich ist er die Stimme der Vernunft unter meinen Eltern.
Bevor wir uns auf den Heimweg machen, versorgt meine Mutter Kim noch mit reichlich gefüllten Vorratsdosen voller Essen. Ich brauche ja nichts, denn ich gehe ja
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