Ungeplant (German Edition)
gerade die Wohnung betreten.
„Jenny bringt ihn frühestens morgen Mittag. Was möchtest du trinken?“
„Hast du Bier?“
Er lässt sich auf einen Küchenstuhl sinken und die Arme an den Seiten runterhängen. In seinem Anzug und mit der schwarzen Krawatte sieht er völlig verloren aus.
„Ich schaue gleich nach“, sage ich und stelle mich vor ihn, um den Krawattenknoten an seinem Hals zu lösen. Sven lehnt sich nach vorne und lässt sich von mir das Jackett über die Schultern ziehen und hinter ihm auf der Stuhllehne aufhängen. Er legt seine Wange an meinen Bauch und umarmt meine Hüften. Erschöpft schließt er die Augen und hält mich dabei eisern fest.
„Er wusste es“, flüstert er. „Als ich ihn zum Krankenhaus gebracht habe. Er hat mir hinterher gesehen, als ich wieder zu meinem Auto gegangen bin. Wie eine Statue stand er am Fenster und hat mich nur angesehen, nicht gewunken und nicht gelächelt. Er wusste es.“
Ich kann ihn nicht trösten, das muss die Zeit mit sich bringen, aber ich kann für ihn da sein.
Wir lösen uns voneinander und gehen zum Essen ins Wohnzimmer. Wie in alten Zeiten sitzen wir auf dem Boden vor dem Couchtisch und stopfen uns mit Fast Food voll. Endlich isst er freiwillig etwas. In den letzten Tagen hat er sich nur von Kaffee und Zigaretten ernährt. An seinen rosigen Wangen zeigt sich, dass ihm das Bier schon etwas in den Kopf gestiegen ist.
„Was willst du jetzt machen?“, frage ich mit halb vollem Mund.
„Keine Ahnung. Wenn es nach mir geht, dann gar nichts. Nur mit dir hier abhängen und sinnlosen Quatsch im Fernsehen gucken. Ein kleines Nickerchen klingt auch verlockend.“
Er legt seinen angebissenen Burger beiseite und nimmt sich noch mehr Fritten.
„Damit bin ich einverstanden. Trotzdem müssen wir heute Abend noch mal nach deiner Mama sehen.“
Ich reiche ihm noch meinen Anteil Pommes rüber und schiebe mir den letzten Bissen meines Burgers in den Mund.
„Noch ein Bier?“, frage ich und erhebe mich schwerfällig und vollgefressen vom Tisch.
„Bier, Wodka, Gras. Was auch immer du Betäubendes da hast.“
„Ich hol dir noch ein Bier.“
Sein Verlangen, sich zuzudröhnen, kann ich absolut nachvollziehen, aber das würde er nur bereuen. Lieber würde ich ihn von seinem Schmerz ablenken, aber ich bin mir nicht sicher, ob er das auch will.
„Lina?“, ruft er mir hinterher. „Können wir gleich zusammen in die Badewanne gehen? Ich brauche das heute.“
„Natürlich.“
Das heiße Wasser macht mich unglaublich schläfrig. Nur die Tatsache, dass Sven an meinen Brustkorb gelehnt vor mir liegt, lässt mich die Augen aufhalten. Er ist so unglaublich angespannt. Mit einer Hand streiche ich durch seine feuchten Haarspitzen und mit der anderen fühle ich den Herzschlag auf seiner Brust.
„Kannst du dich noch an unseren ersten Kuss erinnern?“, frage ich, um ihn abzulenken.
„Du hast mich so lange provoziert und als Feigling betitelt, bis ich dir mitten im Kaufhaus auf der Rolltreppe die Zunge in den Hals geschoben habe. Nicht gerade die Definition von Romantik.“
Er lacht trocken.
„Für mich ist es eine gute Erinnerung.“
Sven erwidert nichts und schließt die Augen, obwohl er immer noch völlig verspannt ist.
„Was kann ich für dich tun?“, flüstere ich an seiner Wange. Er hat zwar die Augen geschlossen, aber seine Atmung ist so unregelmäßig und hastig, er steht völlig unter Strom. Auf meiner Stirn bilden sich Schweißtropfen, doch Sven scheint zu frieren. Ich hangele mit den Zehen nach dem Wasserhahn und lasse noch mehr warmes Wasser einlaufen.
„Gar nichts“, seufzt er. Doch dann dreht er sich zu mir um. Er legt seine Arme um meinen Oberkörper und stützt sein Kinn auf meinem Brustbein ab.
„Ich erinnere mich, wie mein Bruder uns in der Badewanne erwischt hat. Meine Eltern waren im Urlaub und Thomas sollte nachsehen, ob ich nicht das Haus auf den Kopf stelle. Ich glaube, wir waren ungefähr 17. Du hast Thomas wochenlang nicht mehr in die Augen sehen können.“
Daran erinnere ich mich sehr gut, und es ist mir heute noch peinlich, wenn ich daran zurückdenke.
„Du bist so wunderschön, Melina“, flüstert er und sieht mich dabei durchdringend an. „Ich kann dich nicht immer wieder verlieren.“
„Das brauchst du nicht, Sven. Ich will nirgendwo anders mehr sein.“
Er verschließt meine Lippen mit einem Kuss, der mich keinen klaren Gedanken fassen lässt. Jeder Nerv in mir ist immer noch auf ihn eingestellt und
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