Ungestüm Wie Wind Und Meer
den Mann zu erwürgen. »Vielleicht, Sergeant, kann seine Lordschaft Euch Erklärungen geben, sofern Ihr uns berichtet, was genau sich zugetragen hat?«
Tonkin zögerte, blickte zwischen Jack und Spencer hin und her und nickte dann sehr langsam. Und entschlossen begann er mit seinem Bericht.
Kit lag flach auf dem Rücken in ihrem Bett und versuchte, sich zu erinnern, wie sie dort hingekommen war. Ihre Schulter brannte wie Feuer, einmal war ihr heiß, dann wieder eiskalt. Mit geschlossenen Augen hörte sie die Tür gehen.
»Sergeant Tonkin ist hier, Miss.« Kit erkannte Emily, eines der Stubenmädchen, am Flüstern. »Jenkins hat ihn gerade in die Bibliothek geführt.«
»Das ist der Steuerbeamte, ja?« fragte Elmina vom Kamin her. Kit fürchte die Stirn. Der Steuerbeamte? Hier?
»Er ist ein schrecklicher Grobian, dieser Kerl«, erklärte Emily. »Er will Miss Kathryn sehen. Jenkins sagt, dieser Mann hätte ihr Gesicht erkannt.«
Elminas Antwort klang beiläufig. »Seine Lordschaft wird das regeln. Und Lord Hendon ist auch anwesend, nicht wahr? Bleib ganz ruhig, alles wird gut.«
»Elmina!« Kit stützte sich mühsam auf den gesunden Ellbogen und verzog das Gesicht vor Schmerzen. Ihr schwacher Ruf brachte Elmina und Emily an ihr Bett. »Hol mir das taubengraue Kleid. Schnell!«
Mit schierem Entsetzen im Blick blieb Elmina wie festgewachsen stehen. »Nein, nein, petite! Ihr seid viel zu schwach, um aufzustehen. Die Wunde würde wieder aufreißen.«
»Wenn ich mich unten bei Tonkin nicht blicken lasse, werde ich ihr Verheilen vielleicht gar nicht mehr erleben.« Mit zusammengebissenen Zähnen gelang es Kit, sich auf die Bettkante zu setzen. Plötzlich erinnerte sie sich nur zu gut an das Vorgefallene. Sie schloss die Augen und wehrte sich energisch gegen das Schwindelgefühl. »Zum Teufel, Elmina! Widersprich mir nicht - sonst hol ich's mir selbst«
Die Drohung zeigte Wirkung, wie immer, und vor sich hin schimpfend huschte Elmina zum Schrank. Innerhalb von Minuten war sie mit dem grauen Kleid und Kits Unterwäsche zurück und bemerkte warnend: »Lord Hendon ist unten.«
»Ich habe es gehört.« Kit betrachtete ihre Kleider und fragte sich, wie sie es schaffen sollte. Sie musste unter allen Umständen vermeiden, den Arm zu heben. Für das graue Kleid hatte sie sich entschieden, weil es hochgeschlossen war und den Verband bedeckte. Wenn sie es über dem Nachthemd trug, ersparte sie sich Bewegungen und konnte nur hoffen, dass Tonkin es nicht merkte.
Elmina schnürte ihr das Kleid und eilte, um Kits Bürsten zu holen. Kit blickte an sich herab. Das Zimmer schwankte, und sie hob schnell den Kopf. Den Blick auf den Spiegel gerichtet, versuchte sie ein paar Schritte. Es war nicht leicht, aber sie würde es tun, und wenn es ihr Tod sein sollte. Sie hob das Kinn. Sie hatte nichts getan, dessen sie sich schämen musste; und ein grober Klotz von einem Sergeanten sollte den Namen Cranmer nicht durch den Schmutz ziehen.
Im Erdgeschoß versuchte Tonkin verzweifelt, sich über Wasser zu halten. Auf Jacks geschickte Fragen hin hatte er in allen Einzelheiten berichtet, was geschehen war. Auf diese Weise nacherzählt verloren die nächtlichen Taten viel von ihrem Glanz.
Nachdem das erledigt war, lehnte Jack sich zurück und ging mit Spencer alle derzeit bekannten Mitglieder der Familie Cranmer durch. Während der ganzen Zeit behielt er Tonkin aufmerksam im Auge und bemerkte die wachsende Ungeduld des Sergeanten und seinen zunehmenden Ärger. Obwohl er massiver Entmutigung ausgesetzt war, wollte Tonkin nicht nachgeben. Als Spencer mit seiner Liste anerkannter Bastarde seiner Söhne fertig war, warf Jack ruhig ein: »Aber meines Wissens sagte der Sergeant das Gesicht, das er gesehen hat, wäre eindeutig weiblich. Stimmt das, Tonkin?«
Tonkin blinzelte und nickte dann eifrig. »Jawohl, Sir, Euer Lordschaft. Es war ein Frauengesicht.«
Spencer schüttelte den Kopf. »Ich weiß von keinem männlichen Cranmer mit weibischen Zügen.«
»Ich sag's ja nicht gern«, ergriff Jack wieder das Wort. »Aber könnte es möglicherweise eine weibliche Verwandte sein?« Er hörte beinahe Tonkins unterdrückten Seufzer der Erleichterung.«
»Gibt's nicht«, erwiderte Spencer entschieden. »Kathryn ist das einzige Mädchen in der Familie, und sie kann es natürlich nicht sein.«
Mit einem flüchtigen Lächeln stimmte Jack ihm nickend zu.
Tonkins Gesicht war eine Maske der Bestürzung. »Verzeihung, Euer Lordschaft, aber warum
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