Ungestüm Wie Wind Und Meer
war Mitternacht. Alles war still. Kit ließ die Zügel locker und ritt Delia zum Stall.
Im Schatten des Stalltors saß sie ab und ergriff Delias Zügel. Die Stute warf heftig den Kopf herum.
»Komm. Lass mich mal.«
Mit einem Fluch auf den Lippen fuhr Kit zurück. Eine große Hand legte sich über ihre und entwand ihr geschickt die Zügel. Jack war nicht mehr als ein Schatten an ihrer Schulter. Nervös, aufgewühlt durch seine Berührung wartete Kit schweigend, während er im Dunkeln die Stute versorgte.
Waren noch weitere Männer da? Sie spähte in die Finsternis hinaus. »Hier ist sonst niemand.« Jack kam zurück an ihre Seite. »Komm ins Haus.«
Kit musste sich beeilen, um mit Jacks langen Schritten mitzuhalten. Vor ihr hatte er die Tür erreicht und öffnete sie, ging direkt zum Tisch und nahm Platz an der gegenüberliegenden Seite. Verunsichert durch sein höfliches Benehmen biss Kit sich auf die Zunge. Behutsam schloss sie die Tür, drehte sich dann um und musterte Jack und den Raum, bevor sie zum Tisch schlenderte und auf dem Stuhl Jack gegenüber Platz nahm.
Er hatte wieder seine finstere Miene aufgesetzt, doch sie plante an diesem Abend auch nicht, ihm ein Lächeln zu entlocken. Sie zog den Hut vom Kopf, wickelte sich den Schal vom Hals und setzte sich.
»Wie lautet dein Entschluss?« fragte Jack, kaum dass sie Platz genommen hatte. Seit dem Moment, als sie in seinem Blickfeld erschien, konnte er an nichts anderes mehr denken als daran, sie wieder in seinem Bett zu haben. Und daran, was er dann tun würde. Deshalb wollte er dieses Treffen zum Abschluss bringen und sie wieder auf dem Heimweg wissen, und zwar so schnell wie möglich. Kits Gesicht verriet ihm, was sie von seiner mürrischen Miene hielt, nämlich nichts. Im Augenblick hielt er seinerseits auch nicht viel von ihrer Gegenwart. Sie war die Ursache für all seine derzeitigen Sorgen. Abgesehen von den körperlichen Auswirkungen ihrer Nähe musste er auch noch mit dem uneingestandenen Schuldgefühl wegen seiner Unterstützung ihres Theaterspiels fertig werden. Matthew und George hatte er nichts verraten. Und jetzt dachte er auch noch voller Unbehagen an Spencer, der früher nur eine Schattenfigur und nicht schwer zu ignorieren gewesen war, jetzt aber durch ihr Zusammentreffen Gestalt angenommen hatte. Vermutlich mochte er seine ungestüme Enkelin von Herzen, obwohl sie unehelich war. Es war natürlich unmöglich, ihm davon zu berichten. Was konnte er schon sagen? »Auf ein Wort alter Mann Eure uneheliche Enkelin läuft als Schmuggler verkleidet herum?« Gewaltsam löste Jack den Blick von Kits im Licht glänzenden Locken und sah in ihre veilchenblauen Augen, den Augen Spencers so ähnlich und doch wiederum ganz anders.
Auf Jacks abrupte Frage hin hatte Kit begonnen, sich unendlich langsam die Handschuhe auszuziehen, bevor sie den Blick zu ihm erhob. »Meine Männer sind einverstanden.«- Ihre kleine Bande hatte sie etwas früher an diesem Abend getroffen. »Wir schließen uns ab sofort euch an, vorausgesetzt, ihr informiert uns vorderhand, was für Frachten ihr übernehmt.« Das war ihre Bedingung, die Fischer dagegen waren nur zu bereit gewesen, Jacks Angebot anzunehmen.
Gelassenheit löste Jacks Stirnrunzeln ab. Warum zum Teufel wollte sie das wissen? Im Geiste spielte er die Möglichkeiten durch , fand aber keine, die hätte zutreffen können. »Nein«, antwortete er kurz und knapp, gespannt auf ihre Reaktion.
»Nein?« wiederholte sie. Dann hob sie die Schultern. »Gut Aber ich hatte gedacht, du wünschtest unseren Zusammenschluss.« Sie fing an, sich die Handschuhe wieder überzustreifen.
Jack gab seine Gelassenheit auf. »Was du verlangst ist unmöglich. Wie soll ich eine Bande führen, wenn ich immer erst dich fragen muss, ob du mit der jeweiligen Fracht einverstanden bist? Nur einer kann der Anführer sein, und falls du es vergessen haben solltest ich bin es.«
Kit stützte einen Ellbogen auf den Tisch und legte das Kinn in die Hand, den Blick auf Jacks Gesicht geheftet. »Du müsstest eigentlich verstehen, dass ich mich für meine kleine Bande verantwortlich fühle. Woher soll ich wissen, ob du ihnen gerecht wirst, wenn ich nicht erfahre, welche Ladungen du annimmst oder ablehnst?«
Jack wurde immer gereizter. Sie hatte das einzige Argument ins Feld gefühlt, dem er nichts entgegenzusetzen hatte. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte er ihre Logik bewundert - das war die richtige Einstellung für einen Führer, wie klein seine
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