Ungezaehmte Begierde
Gefühl, abgesehen von diesem fortwährenden dumpfen Schmerz. Aber die Stimme fuhr fort, in ihrem Kopf zu sprechen.
Ich bin bei dir, Dee. Ich lass dich nicht dort drin, aber du musst nach mir greifen. Du musst mir vertrauen.
Du bist nicht real. Du bist tot. Und dennoch strich bei dem Klang der Stimme ein vertrautes, warmes Gefühl durch ihren Kopf und gab ihr Kraft.
Ich bin nicht tot, Rehauge. Ich bin hier bei dir. Ich versuche dich dort rauszuholen. Kannst du meine Hände auf deinem Gesicht spüren?
Nein. Außer dem Schmerz in meinem Kopf fühle ich nichts, und selbst der ist nicht sehr stark.
Komm zu mir, Dee. Folge dem Klang meiner Stimme. Versuch mich zu berühren. Vertrau mir.
Ich kann dir aber nicht vertrauen. Du bist vor den Behörden geflohen. Die Worte eilten durch ihren Kopf und lösten eine Sturzflut von Tränen aus. Ich kann dir nicht vertrauen.
Dann glaub mir wenigstens, dass ich dich dort herausbringe. Du musst einfach nach mir greifen.
Hilf mir, Tighe.
Siehst du den Faden, Dee? Den irisierenden Faden?
Ich sehe überhaupt nichts.
Ruhig, Liebling. Greif im Geist nach mir. Greif doch nach mir, Dee!
Und plötzlich sah sie tatsächlich einen feinen Faden, der in tausend Farben schillerte. Einen feinen Faden. Als sie danach griff, flatterten die Engelsflügel in ihrem Kopf und sagten ihr, dass sie ihn gefunden hatte. Nicht den Faden. Sondern Tighe.
Während sie dem Faden folgte, spürte sie, wie sein Geist mit einer federleichten, wundervollen Berührung den ihren streifte. Nach und nach wurde er größer und heller.
Sie spürte eine warme Welle, als er sie im Geiste ergriff und aus der Dunkelheit herauszog.
Das Erste, was sie wieder fühlte, war etwas überwältigend Sanftes, denn sie spürte, wie er seine starken Arme um sie legte und sie dicht an seinen warmen Körper zog. Sie umschlang ihn, vergrub ihr Gesicht an seinem Hals und klammerte sich an ihn, während sich ihr Herz vor Freude zusammenzog.
»Du lebst.« Tränen liefen ihr über das Gesicht, als sie spürte, wie er ihr über den Kopf strich.
Er bog ihren Kopf zurück und zwang sie, ihn anzusehen. Sie sah in das Gesicht des Mannes, von dem sie geglaubt hatte, sie würde ihn nie mehr wiedersehen.
Sein Daumen strich über ihre Braue. »Einen Moment habe ich mir wirklich Sorgen um dich gemacht, Rehauge. Ich war mir nicht sicher, ob ich es schaffen würde, zu dir durchzudringen.«
»Warum bist du am Leben?«
Ein Schatten schob sich an der offenen Tür vorbei.
»Tighe, wir haben Gesellschaft bekommen. Eine ganze Menge sogar, wie es aussieht. Wir können sie nicht mitnehmen.«
Tighe sah mit angespannter Miene auf sie hinunter. »Ich muss jetzt gehen, aber du brauchst mich, Rehauge. Wenn das wieder geschieht, bin ich der Einzige, der dich retten kann.« Sein Mund nahm einen harten Zug an. »Wenn du noch einmal das FBI auf mich ansetzt, bist du auf dich allein gestellt. Verrate mich nicht noch einmal, Delaney. Ich meine es ernst.«
Sie zwang sich, ihn loszulassen. »Wie finde ich dich?«
»Komm morgen früh um 5:30 Uhr zu dem Parkplatz an der nordöstlichen Seite des Tidal Basin. In vier Stunden also. Ich komme in einer grünen Camry-Limousine und hole dich.«
»Wie soll ich in der Dunkelheit erkennen, dass sie grün ist, ganz zu schweigen davon, wie ich dich erkennen soll?«
»Ich habe ein Halogenlicht und ein normales Scheinwerferlicht an. Du wirst mich sicher erkennen.«
»Was ist aber, wenn ich es nicht so schnell dorthin schaffe?«
»Du musst einfach. Ich will, dass du bei mir bist, bevor du eine neue Vision hast.«
»Tighe!«, tönte die Stimme des Mannes vom Flur herüber. »Wir müssen hier weg. Sofort!«
Tighe beugte sich nach unten und küsste sie leidenschaftlich. Seine Hand glitt in ihren Nacken, sein Daumen strich an ihrem Ohr entlang und suchte die Vertiefung darunter.
»Vertrau mir, Delaney«, murmelte er an ihren Lippen, dann presste er den Daumen unter ihr Ohr.
Wieder wurde sie von Dunkelheit verschlungen.
*
Delaney schob die Hände in die Taschen ihres Blazers, als sie am Rand des Parkplatzes stand, wo Tighe sie abholen wollte. Es war noch dunkel, und nur wenige Wagen waren hier um diese Uhrzeit an einem Sonntagmorgen unterwegs. Alles würde genau nach Plan laufen.
Nach ihrem Plan, nicht nach dem von Tighe.
Vertrau mir, hatte er sie gebeten.
Ihr Magen fühlte sich an, als hätte sie Nägel geschluckt. In gewisser Weise vertraute sie ihm. Sie hatte ihm ihren Körper anvertraut. Vermutlich sogar ihr
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