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Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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Die kunstreichen Dämonen fliehen und mit ihnen die Gärten, die Rosen welken, die Brunnen versiegen, die Nachtigall hält den Schnabel. Wie an allen Gliedern zermalmt bleiben die Genießer der Halluzinationen zurück. Selbst die eben noch taufrische Jungfrau ist bleiern müde. Ihr Weg führt nun zwangsläufig zur Kirche, nicht wegen des Traualtars, sondern um der Heilung willen.
     
    Ungefähr so erging es uns. Wir erwachten gründlich verkatert und fanden unsere Kirchen, aus denen wir allerdingsnicht alle wieder herauskamen. Das Bild von Jakobs letztem Schuss war ungefiltert in unsere Eingeweide gefahren, züngelte dort weiter und ließ sich nicht löschen. Wir mussten uns eingestehen, dass wir uns seit geraumer Zeit kraftlos und ausgelaugt fühlten. Wir benötigten zwei bis drei Joints, um überhaupt jene Ebene grauer Normalität zu erreichen, auf der die Nüchternen ihren Tag begannen.
    Es gab kein beseligtes Staunen mehr angesichts von Ampeln und Bremslichtern. Dass die Risse im Asphalt sich dehnten und pulsierend zusammenzogen, als wanderten wir über die Haut eines gigantischen Elefanten – das hatten wir lange nicht mehr erlebt. Auf den Raufasertapeten war das gestockte Rinnen der Farben zum unendlich fließenden Strom geworden, auf dem wir als Partikel mitfuhren. Im Klorauschen hatte Musik geklungen. Alexander hatte einmal zwei Stunden gespült, immer wieder, und entzückt der immer neuen göttlichen Komposition gelauscht, bis seine Großmutter im Schlafrock erschienen war und herrisch gegen die Tür gepocht hatte.
    Wir waren sicher gewesen, die tiefste Realität zu erkennen, wenngleich wir unsere Erkenntnis nie hatten aufschreiben können. Es war nicht nötig gewesen. Um glücklich zu sein, hatte es genügt, unter einem Baum zu liegen und ins grüne Wogen zu sehen. Jedes einzelne Blatt und jede Faser und jedes Äderchen in jedem Blatt waren in filigraner Klarheit zu unterscheiden, während die Zweige winkten und uns Heiterkeit zufächelten. Wir hatten die Aura der Bäume gesehen und ihren gelassenen Austausch.
     
    So etwas hatte sich seit geraumer Zeit nicht mehr eingestellt. Wir brachen nicht einmal mehr in Gelächter aus,wenn wir gewöhnliche Leute auf der Straße beobachteten.
    Alexander und ich wollten es noch einmal zwingen. An einem holsteinischen See besaß seine Familie ein abgelegenes überwuchertes Grundstück. Auf einem Wiesenstreifen am Ende eines Schotterweges, zwanzig Meter vom Ufer entfernt, stand ein Wohnwagen.
    Es war Mitte April, der Himmel trübe. Als wir in der Abenddämmerung unsere Extradosis mit Cola hinuntergespült hatten, wanderten wir auf der Wiese hin und her und warteten auf das Einsetzen der Wirkung. Sie kam nicht. »Haben wir zu wenig genommen?«
    Vom See fuhr eine leichte Brise herüber. Da, klapp!, fiel mit einem Windstoß die Tür des Wohnwagens zu. Wir hatten versäumt, sie einzuhaken. Wir rüttelten am Türgriff. Wir spähten durchs Fenster. Zu spät. Unerreichbar neben dem geleerten Tablettendöschen lagen die Schätze auf dem Klapptisch: unsere Lebensmittel, der Autoschlüssel, der Schlüssel zum Wohnwagen.
    Auf einen Schlag war uns kalt. Bis dahin hatten wir einander versichert: »Ich merke noch nichts« und »War zu wenig« oder »Es bringt einfach nichts mehr«. Nun, als unleugbar klar war, dass wir die Aprilnacht draußen verbringen mussten, setzte die Wirkung ein. Und mit Wucht. Das Schilf rieb sich zischelnd. Uns war, als erhöbe sich ein Gewimmel von Schlangen daraus; sie wanden sich und züngelten. Die Birkenkätzchen lagen im feuchten Gras; es waren Maden, die um unsere Füße wimmelten, die ersten schoben sich schon an den Schuhen hoch.
    »Wir haben zu viel genommen!«
    »Lass uns hier weggehen!«
    Wenn die Angst einmal hochgekommen ist, vervielfältigt sie sich selbst wie das Echo im Tal der Dämmerung. Vom Ekstasenstoff befeuert, erfasst sie den ganzen Körper und flutet den Geist.
    »Wir hatten doch eine Schachtel Valium?«
    »Im Wohnwagen.«
    »Wir müssen uns müde gehen!«
    Gescheucht von unsichtbar Schleichendem, von schleimig durch Gräser Gleitendem, Kriechendem, Schmatzendem, gehetzt von Flatterndem, Fliegendem, das unser himmelhohes Haar mit faltigen Schwingen streifte, eilten wir den Schotterweg hügelan. Nur keinen Blick nach rechts und links! Vor unseren Füßen ringelte sich das Gewürm, aus den Wiesen erhoben sich krötig die Leguane, geschuppte Drachen griffen aus dem Gebüsch, Glibberndes langte mit Quallenhaar von den Ästen.
    »Trampeln,

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