Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
Vom Netzwerk:
du musst beim Gehen trampeln!« Das sollte Gewürm und Schlangen auf Abstand halten.
    »Da, da!«
    »Was denn? Was hast du denn?«
    Der eine rief voll Angst, der andere, weiter voraus auf der Flucht, sah es nicht und wollte sich auch nicht umdrehen. Keiner vermochte dem anderen zu helfen.
    »Das sind alles nur Projektionen!« Dergleichen Lernstoff erstarb angesichts des realen Entsetzens. Vielleicht war es ja wirklich der Blick in eine Zwischenwelt? Dem normalen Bewusstsein war sie aus guten Gründen versperrt. Jetzt hatte etwas die Tür weit aufgerissen, schließen konnten wir sie nicht mehr. Und wenn es denn Projektionen sein sollten, konnten die nur von innen kommen. Dann wohnte die Brut in den eigenen Gewässern. Das war nicht besser.
    Ein Scheinwerferpaar wischte in der Ferne vorbei. »Das muss die Straße sein!« Die Straße musste zu Lampen führen, zu erleuchteten Fenstern, zu Frauen, die in Küchen hantierten, und Männern, die vor Haustüren rauchten, zu wärmender Biederkeit, zu den Haltegriffen der Ordnung, in die Zivilisation.
    An einer Wegbiegung, unter hohen Kastanien, die unaufhörlich ihre Finger bewegten, tauchte überraschend ein Gehöft auf mit matter gelber Lampe über dem Scheunentor und einem aufgesteckten Eisfähnchen.
    »Wir kaufen ein Eis!«
    Das ganze Haus vibrierte, als wir an die Tür pochten. Drinnen flatterte etwas auf, ein Hund schlug an. Dann Schritte. Eine junge Bäuerin in Hose und roter Weste über weißer Bluse, eigentlich hübsch, aber mit misstrauischen Augen.
    »Können wir ein Eis haben?«
    Sie zögerte, so blass und gehetzt sahen wir aus. Waren wir entlaufene Sträflinge? Voreilig entlassene Anstaltsinsassen? Verrückte, sicher, ja. Aber es war ein Flehen in unserem Blick, oder eine Gefahr ging davon aus, dass sie sich dazu herabließ, den beschlagenen Deckel ihrer Eistruhe aufzuschieben, vermutlich zum ersten Mal seit dem vergangenen Sommer. Sie kratzte ein übrig gebliebenes Cornetto vom Boden der Truhe. »Nimm du«, gewährte Alexander großzügig.
    Als ich das Eis aus ihrer Hand nahm, berührten sich für einen Moment unsere Finger. Ein heilender Strom ging von ihr aus. Wärme und Sicherheit flossen herüber. Ich verspürte den Impuls, nach ihrer Hand zu greifen. Bitte! Ein Rest Verstand hielt mich zurück. Dies war nicht dieTugendhafte, die einen Verlorenen retten würde. Sie würde mindestens den Hund rufen.
    Kaum war vom Eis die glänzende Folie abgewickelt, fuhr ich zurück. Auf der Cremespitze, die gewöhnlich mit Nusssplittern und Schokoraspeln bestreut war, räkelten sich Egel und Asseln und spinnenbeinige Käfer. Entsetzt wandte ich den Kopf ab.
    Die Bäuerin erschrak, vielleicht weil das Eis nicht ganz frisch war: »Ist was nicht in Ordnung?«
    »Doch, doch«, beruhigte Alexander. Er hatte die geringere Dosis geschluckt. Er zog mich fort.
    Die Bäuerin sah uns nach. Sie blieb einfach stehen in der Tür, als dunkle Silhouette in einem Rechteck von Licht, die Arme verschränkt, rätselnd, mit was für Erscheinungen sie eben zu tun gehabt hatte, und wohl auch bereit, uns bei auffälligem Verhalten verfolgen zu lassen. Ich traute mich nicht, die Eistüte fortzuwerfen; wie eine Fackel des Ekels trug ich sie am gestreckten Arm vor mir her.
    Die Rettung kam von der Armee. Zunächst war es nur ein Donnern in der Ferne, ein Grollen wie von einem im Hades rumorenden Gewitter. Der Boden bebte. Dann waren es drohend sich nähernde Motoren. Schließlich wälzte sich schwer und dröhnend ein Lindwurm dunkler Maschinen heran, Respekt gebietend mit orange blitzenden Rundumleuchten, Heereswagen, Gefechtsfahrzeuge, die beflaggt übers nächtliche Land zogen, ein ganzes Regiment samt Spähwagen, Lkws und beketteten Ungeheuern. Männer in Flecktarn lehnten aus Panzerluken und Fenstern. Ihr gleichgültiger Blick streifte uns, die wir ungläubig und offenen Mundes im feuchten Gras der Wiese standen.
    Das Eis durfte ich nun wegwerfen. Dies war ein andererFilm, wir waren Statisten. Alles schien in strudelndes Licht getaucht wie bei Spielbergs freundlichen Außerirdischen, wenngleich hier wohl Rot gegen Blau gespielt wurde und im Morgengrauen die Querung des Nord-Ostsee-Kanals geübt werden sollte. Doch wir empfanden Erleichterung beim Anblick dieses endlosen Defilees, welches Asphalt und Erdreich und Wiesen und Wälder so tief erschütterte, dass alle Zwitterwesen überstrahlt und übertönt und vertrieben wurden; vor dieser Kolonne musste das Gezücht sich verkriechen für lange

Weitere Kostenlose Bücher