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Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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Spritze auf. Eine aufopferungsvolle Krankenschwester. Noch einmal beugte sie sich über ihn, um die purpurne Pracht am Sinken zu hindern. Sie zog die Perlenkette stramm, dass sie saß wie ein Stauriemen oder Cockring. Und dann setzte sie ihm einen Druck, genau dorthin, wo Adern und Haut jetzt am unnachgiebigsten gespannt waren, direkt in eine Vene am Schaft.

Rituelle Beerdigung
    In dieser Zeit erreichte mich ein Anruf von Hannah. Das war ein Wunder. Sie hatte sich seit Monaten nicht gemeldet. Ich glaubte, sie hätte aufgegeben. Nun klang die Wärme ihrer Stimme herüber aus einer sonnendurchfluteten, fest gegründeten Welt. Hatte sie nicht versichert, alles im Leben gehe gut aus? Ich war kurz davor, sie um Hilfe zu bitten.
    Doch sie hatte sich etwas zurechtgelegt. »Ich wollte dir nur sagen: Wenn der Nachmittag bei Kim der Grund ist, das spielt für mich keine Rolle.«
    Welcher Nachmittag? Bei wem? Grund wofür?
    »Der Nachmittag?«, wiederholte ich begriffsstutzig.
    »Sie hat mir alles erzählt«, erläuterte Hannah. »Das ist doch nicht schlimm! Du bist jung. Du musst dich ausprobieren. Ich habe Verständnis dafür.«
    »Ach so«, sagte ich, als erklärte jemand einen physikalischen Versuch. »Danke.«
    Was für ein fernes, gänzlich belangloses Thema! Ja natürlich, ein Nachmittag in einem Maleratelier, und ein gemütlich brummendes Propellerflugzeug über der herbstlichen Stadt, richtig, und laszive Posen, reife Frauen.
    Und soweit ich gehört hatte, kenterten Flüchtlingsboote vor Gibraltar, und im Iran wurde Dieben die Hand abgehackt, in China schwelten Kohlenflöze und bliesen pro Tag so viel Kohlendioxid in den Himmel wie alle Autos hier in einem Jahr, und die Tsunamis erhoben sich, und Kröten wurden über die Straße getragen, und Walschützerspannten ein Seil vor die Hafenausfahrt, Unterschriften wurden gesammelt gegen das Vergessen, und falls irgendwo Krieg ausbrach, sang jemand Lieder dagegen oder sammelte Abdrücke von Händen auf einem Laken, das zum Fenster hinausgehängt wurde, aber der Abdruck von der Hand meines Freundes Jakob konnte schwerlich dabei sein, denn die sah aus wie die Hakenklaue in einem Gruselfilm, und ich hatte Angst.
    »Wenn das der Grund dafür ist, dass du dich zurückgezogen hast«, wiederholte Hannah, »dann wollte ich dir sagen: Du bist nicht in meiner Schuld. Ich nehme es dir nicht übel. Gar nichts.«
    Ich sah eine Figur aus Luftballons vor mir, die durch eine Leine noch mit der Erde verbunden ist. Die Leine ist an einem Zeh befestigt, und nun zieht jemand daran, um die Ballons zur Erde zurückzuholen. Die da zog, war Hannah.
    »Es gibt keinen Grund«, entgegnete ich und fügte als Vertiefung hinzu: »Weil letzten Endes alles grundlos geschieht.«
    Sie schwieg einen Moment, um einzuschätzen, wovon ich sprach.
    »Geht es dir gut?«, fragte sie vorsichtig.
    Ich stemmte mich gegen dieses Ziehen. »Mir geht es eigentlich immer gut«, wand ich mich, ohne meiner Stimme Kraft geben zu können.
    Sie gab das Nachforschen auf. »Ich würde dich einfach gern mal wieder in den Arm nehmen.«
    »Ah ja, gut«, sagte ich, so fern es auch schien. »Das ist möglich.«
    Immerhin war ich theoretisch noch in der Lage, jemandenzu umarmen. Bei Jakob war das schon weniger sicher. Sein linker Arm war gefühllos geworden, nachdem er eine Spritze ins Gewebe gejagt hatte; er hatte in der Not keine Vene gefunden. Nachdem er bei der übernächsten Gelegenheit eine Arterie erwischt und einen inneren Brand entfacht hatte, hatte seine Freundin den Dienst übernommen.
    »Das ist möglich?«, fragte Hannah. Es missfiel mir, dass sie meine Worte wiederholte wie eine Therapeutin, in jenem zurückweichenden Ton, der wie ein Vakuum das Bekenntnis aus dem Klienten heraussaugt.
    »Das ist möglich«, echote ich. Dann kam mir etwas in den Sinn: »Sag mal, du kennst doch diese Familie ...«
    Aber nun war mir der Nachname von Jakobs Freundin entglitten. Die Familie hockte in Blankenese, das war immer noch ein Dorf, in dem man übereinander Bescheid wusste, zumindest über die familiären Katastrophen. »Am Falkenstein«, stotterte ich. »Diese Reeder.«
    »Ich habe das Gefühl, es geht dir nicht gut«, sagte Hannah zögernd.
    Dass sie über mich Bescheid wissen wollte, flößte mir Widerstand ein. Und der Widerstand gab Kraft. Nun war er da, der Name der Familie. Jetzt konnte ich ihn einsetzen.
    »Ja«, sagte sie. »Die kennen wir. Warum? Hast du etwas mit denen zu tun?«
    »Nein, wir wollen ein Klassentreffen

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