Ungleiche Paare
des anderen vor, sagen wir ruhig mal: der Frau.«
»Genau!« So weit, so glücklich.
»Aber ohne Haut«, bedauerte Pater Felix.
»Wie bitte?«
Er bestätigte kummervoll: »Ohne Haut. So ähnlich wie auf der Anatomietafel im Biologieunterricht, falls ihr euch erinnert. Gehäutet.«
»Was denn – nur noch Muskelfasern, Knochen, Sehnen, Blutgefäße?«, fragte Björn. »Hervortretende Augäpfel?«
Der Pater nickte betrübt. Er gab dieses tibetische Rezept wirklich nur ungern weiter. Nur wenn es sein musste.
»Das stelle ich mir immer vor, seit ich in der Körperwelten -Ausstellung war«, behauptete Björn. Entweder er war zu dickfellig, um die Sache ernst zu nehmen. Oder er wollte mich im Wettbewerb um das Häuschen ausstechen. Hatte er das Mädchen in der Bäckerei Eberle schon gesehen?
»Du stellst dir das Gesicht und den Körper der Frau ohne Haut vor«, wiederholte der Pater extra für mich, als bräuchte ich Nachhilfe. »Und wenn dann die Liebe ungebrochen bleibt, voilà, dann ist es wahrhaftig eine Seelenempfindung! Aber wenn sie abnimmt bei dieser Vorstellung,tja, dann war es keine Liebe. Dann heißt es: Zurück zum stillen Gewahrsein.«
Der entsetzliche Rat überflutete meine inneren Bilder. Schrecklicherweise schien er zu funktionieren. Diese Tibeter! Kein Wunder, dass sie mittlerweile zu den bedrohten Völkern zählten. Aber gut. Vor Ort würde ich das Rezept noch einmal testen, in der Bäckerei Eberle, Filiale Abteistraße, gegenüber dem Aufgang zum Kloster.
Um dem Zenmeister Einblick in die vollkommene Unschuld meiner Gedankenwelt zu geben, wandte ich ein: »Man soll die sexuelle Energie aber auch transformieren können, in Licht oder so.«
Mein Talent zum Eremiten stand außer Frage. Er ging darauf ein. Der dicke Björn war chancenlos. Dabei hatten er und ich bereits recherchiert. In einem tantrischen Werk, dass sich in die Bibliothek des Hauses verirrt hatte und nicht entfernt worden war. Strudelnde sexuelle Unruhe sollte kanalisiert werden können, selbstredend aufwärts, bis ein Springbrunnen aus Licht von der Fontanelle gen Himmel schoss und den Segen der Erleuchtung herabzwang.
Wenn es da eine Technik gäbe, ja, doch, wir würden sie ausprobieren. Mit den beiden älteren Damen war nicht darüber zu reden, sie benötigten keine Kunstgriffe mehr. Sie priesen die morgendliche Bürstenmassage. Für junge männliche Teilnehmer von Retreats reicht das nicht aus. Sie machen in jedem Kloster, in jedem Ashram, Haus der Stille oder Tempel der Ruhe dieselbe Leidenserfahrung. Sie wissen, wie steinhart ein Lingam werden kann und wie unerbittlich er zu pochen beginnt, wenn er meditativ überhört wird.
»Transformation der sexuellen Energie!« Unser bescheidener Meister nickte ernst und begann in seinen Ablagen zu suchen. »Das ist eine sehr gute Frage! Warum haben die Heiligen den Versuchungen widerstanden? Doch so viele Priester und Päpste nicht?«
»Weil die Viten der Heiligen gefälscht sind«, mutmaßte Björn. Ich schüttelte traurig den Kopf über so viel Unverstand. Damit war das Häuschen endgültig meines.
Auf den Einwand war unser Lehrer vorbereitet. Er zog einen Stapel von Reproduktionen hervor. Sie zeigten mittelalterliche Buchmalereien und Fresken. »Fällt euch hier etwas auf?« Er zeigte ein Blatt nach dem anderen.
Na ja. Die einschläfernde Frömmigkeit. Noch etwas? Nein. Oder doch, bei genauerem Hinsehen war etwas Tantrisches zu entdecken. An den Heiligen, zumindest den hier ausgewählten, sitzend, kniend, schwebend, segnend, waren Lichtkreise auszumachen, schimmernde Halos, wie die Höfe des Mondes. Nicht nur als Heiligenschein um den Kopf, sondern in Körpermitte aufwärts, an einer vertikalen Schnur aufgereiht wie die Sterne an der Deichsel des Großen Wagens. Auf dem einen Bild waren es drei, auf einem anderen Bild fünf, mal waren es sieben, mal sogar neun Strahlenkreise. Der erste meist am Steißbein, der zweite dort, wo sich Sakrales staut, der dritte am Nabel, danach in der Herzgegend, darüber auf Höhe des Kehlkopfes, dann auf der Stirn, schließlich überm Schädel. Und jetzt?
»Die Lehre von den Chakren ist keine östliche Erfindung«, belehrte uns der Pater. »Es ist eine Erfahrung, die jeder machen kann, der eine Weile meditiert.«
»Ich habe schon was davon gemerkt«, behauptete Björn. Er wollte Boden gutmachen.
»Wenn auch vielleicht nicht in dieser Klarheit«, schulmeisterte ich.
»Man muss nichts davon merken«, beruhigte der Pater. »Das Aufsteigen der
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