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Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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meinen illusorischen Vorsätzen gehörte es, den Tagesplan des Haupthauses beizubehalten. Das bedeuteteAufstehen in der Morgenkühle, ein Schluck warmes Wasser, die angedeuteten Übungen des Sonnengrußes, ein Bissen Brot. Dann fünfundzwanzig Minuten sitzen, fünf Minuten gehen, wieder sitzen und so weiter bis zur Mittagszeit, abermals Brot und Wasser, ein kleiner Spaziergang oder Unkraut zupfen im armseligen Hausgärtchen. Später wieder sitzen, gehen, sitzen. Am Abend der zehnminütige Weg zur Abteikirche, wo die Mönche im Halbdunkel die Komplet sangen, gefolgt von einem Streifzug durchs Dorf mit Blick in die Fenster des Pelikan , wo weltliche Gäste Maultaschen und Gebirge von Spätzlen vertilgten. Zu guter Letzt den trüben Lichtern im Haupthaus zuwinken und am Fluss zurück.
    An Lena hatte ich geschrieben, ich sei zur Probe in die Einsiedelei gezogen. Als ich am Freitag zum ersten Mal im Haupthaus vorsprach, war ihre Antwort schon da. Sie freue sich von ganzem Herzen, dass ich inzwischen ganz allein meditieren und wohnen könne; das werde mich stärken und festigen; sie wolle mich auch keinesfalls durch Besuch ablenken; es sei in der Zwischenzeit etwas geschehen, ich könne mir vielleicht denken, was. Wir hätten eine schöne Zeit gehabt, endete sie, und bestimmt wäre es lustig und gäbe viel zu erzählen, wenn wir uns irgendwann mal wieder sähen.
    Dieses provozierenden Grußes hätte es nicht bedurft. Aber gut, desto freier war ich. Und nun auch noch angespornt vom Impuls frommer Rache.

Gurus und Groupies
    Ein einziges Mal noch, hatte ich dem Zen-Pater versprochen, würde ich an einem seiner Themenwochenenden teilnehmen, zu Ostern: Den inneren Frieden finden . Ich sollte den Männeranteil verstärken. Von den zwölf Friedensuchenden waren neun Frauen.
    »Machen Sie doch Geh den Pfad des Kriegers «, riet Björn. »Dann kommen mehr Männer.« Aber Krieg entbrannte auch so. Gleich am ersten Tag begehrte eine Teilnehmerin auf. Sie griff den Meister nicht persönlich an. Doch sie forderte ihn. Sie nutzte die abendliche Fragestunde, in der es eigentlich um Meditationserfahrungen gehen sollte.
    »Sublimierung, Verwandlung, Transformation – du meine Güte!«, rief sie unvermittelt, nachdem er sanftmütig vom Umgang mit Energien gesprochen hatte. »Transformation wozu?« Sie blickte Unterstützung heischend in die Runde. »In den ersten tausend Jahren hat es kein Zölibat gegeben im Christentum. Dann plötzlich ist die Keuschheit für alle Kirchenmänner eingeführt worden.« Sie funkelte den Pater an: »Weshalb eigentlich?«
    Ihre Stacheln waren hübsch aufgestellt. Sie sprühte vor Angriffslust, überhaupt vor Lust. Sie hätte sich die Antwort – irgendwas mit Patriarchat und Macht und fortdauernder Unterdrückung – mühelos selbst geben können. Doch das Eingeständnis der Verfehlung wollte sie von ihm hören, von unserem verehrten jesuitischen Zenmeister Pater Felix.
    Lotrecht und in wacher Versunkenheit ruhte er auf seinemMeditationsbänkchen, das Becken vorschriftsmäßig nach vorn gekippt, die Hände schwebend ineinandergelegt mit kaum wahrnehmbarer Berührung der Daumenspitzen. Würde er antworten? Oder in weisem Schweigen verharren? Seine Augen waren halb geöffnet wie im Wachschlaf. Der Blick schien auf eine Unregelmäßigkeit in den gewachsten Pitchpine-Dielen gerichtet.
    »Verzeihung, aber das interessiert uns alle«, bohrte die Frau.
    Die anderen Friedensuchenden nahmen die Vereinnahmung hin. Sie waren jenseits der vierzig und fünfzig und ließen sich von diesem nostalgischen Thema nicht aus der Versunkenheit schrecken. In dieser Frau jedoch brannte die Empörung. Sie hatte burschikose Locken, eine genießerische Nase, ein freches Kinn und konnte nicht weit über dreißig sein. Vermutlich lehrte sie Deutsch und Geschichte an der Sekundarstufe. Oder Ethik und Sozialkunde. Die Wut machte sie sexy. So sexy sogar, dass ich trainieren konnte, sie mir ohne Haut vorzustellen. Es klappte enttäuschend schnell. Wenig erotische Anziehung blieb übrig. Okay, einverstanden, keine echte Liebe.
    »Was meinen Sie, Pater Felix«, fragte sie mit der Würze frischer Chilischoten, »warum wurde nach tausend Jahren plötzlich das Zölibat eingeführt?«
    Der Pater schien aufrichtig nach einer Antwort zu suchen. Endlich rückte er damit heraus, so mild und leise, als verrate er ein vom Klerus jahrhundertelang gehütetes Geheimnis, und vielleicht war es auch so. »Soweit ich weiß«, murmelte er, »wollten die

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