Ungleiche Paare
körperlich nahe kam. Oder er kann die Tür des Arbeitszimmers fest schließen, wie Jane Austens Vater selbst, ein anglikanischer Pfarrer, der sich in gnostische Studien vergrub und den Geschlechtsverkehr lediglich um der Fortpflanzung willen genehmigte, auch sich selbst, und dem Mutter Austen den berüchtigten Stoßseufzer ins Grab nachsandte: Witwenschaft sei die einzige Entschädigung, die eine Frau für die Ehe bekomme. Jane blieb vorsichtshalber unverheiratet.
Es gibt Eremiten, die den Frauen von Anfang an eine Heirat ersparen, wie Isaac Newton, Voltaire, Kant, Beethoven, Schopenhauer, Spitzweg. Ihnen genügten, wie der hagestolze Henry Thoreau in seinem Tagebuch festhielt, feuchte Träume, unwillkürlich im Schlaf erblühende oderam Tag herbeigeführte, als Träumerei zwischendurch, aus welcher der Erwachte gleich wieder in die Welt der Ideen zurückkehren kann. Andere Mönchtypen heirateten um des guten Rufes willen, wie Shaw, Ionesco, Thomas Mann, Michael Jackson, und ließen ihre Frauen in Ruhe, die darüber, nach allem, was wir wissen, nicht unglücklich waren.
Doch viele mit Einsiedlern verheiratete Frauen sind unzufrieden. Diejenigen vor allem, die erst einige Jahre nach der Hochzeit herausfinden, dass sie einen Eremiten geheiratet haben.
Mein Großvater konnte dem Druck der Familiengründung bis zu seinem vierundvierzigsten Geburtstag standhalten. Dann heiratete er eine zwanzig Jahre jüngere Frau, die ihn, ihren Lehrer, als edlen Geist anhimmelte. Vermutlich erwartete er, sie werde sich von nun an um seine Krawatten und Hemden kümmern, die richtigen Teesorten kaufen und Besucher abwimmeln. Und wahrhaftig, das tat sie. Im Gegenzug genügte er seiner Pflicht, indem er dreimal an präzise berechneten Tagen ihr Schlafzimmer aufsuchte, in drei aufeinanderfolgenden Jahren.
Die drei Töchter verlebten eine heitere, weitgehend vaterfreie Jugend. Sie kannten das Dienstmädchen erheblich besser als den Herrn Professor. Der war den Gerüchten nach anwesend, blieb aber unsichtbar. Seine Ehefrau sorgte dafür, dass er versorgt, geschont und vor Lärm geschützt wurde. Wenn die Familie in die Ferien fuhr, wurde das gemietete Haus samt Grundstück in zwei gleiche Hälften geteilt. Die eine war dem Einsiedler vorbehalten, ungefähr wie zu Hause. Die andere gehörte Mutter, Töchtern, Dienstmädchen. Ein über den Rasen gespanntes rotesBand zeigte den Kindern, wo ihr Spielplatz aufhörte und die Eremitage begann.
Dass meine Großmutter sich anderweitig Vergnügen suchte, ist unwahrscheinlich. »Mit der Ehe«, zitierte sie nach seinem Tod, »tauscht die Frau die Aufmerksamkeit vieler Männer gegen die Unaufmerksamkeit eines einzelnen«. Sie sprach es aus, als handele es sich um ein Naturgesetz, mit dem eine Gattin sich mit etwas Geschick anfreunden könnte. Heute wäre sie hochwillkommen als historische Zeugin und förderndes Mitglied bei der »Initiativgruppe vom Zölibat betroffener Frauen«.
In erster Linie sollen sich von so einer Gruppe natürlich direkt Betroffene angesprochen fühlen: solche wie meine Schwester, die sich mit einem Priester oder Mönch eingelassen haben, und der fromme Mann hat sich nach lustvoller Zeit hinter die Schranken der Kirche zurückzogen, will mit seinem Geheimnis nicht herausrücken, und die Frau soll um seinetwillen ebenfalls schweigen. Oder er behauptet, er möchte heraus aus seinen Fesseln, dürfe aber nicht.
Doch vom Zölibat des Mannes sind auch gewöhnliche Ehefrauen betroffen.
»Du hast einen Mönch geheiratet«, hielt ich meiner Großmutter vor. »Vielleicht wäre es besser für ihn gewesen – und auch für dich! –, wenn er ein Mönch geblieben wäre.«
Erstaunt sah sie mich an, die zu hoch gemalten Brauen noch höher gezogen. »Und auch besser für dich? Hätte er auf Familiengründung verzichten sollen?«
Keine schlechte Entgegnung. Aber nicht so leicht zu beantworten, wie der erste Impuls nahelegt. Unmissverständlich hat sich der klausnerische Emil Cioran dazu geäußert,unmittelbar bevor er verfügte, er wolle in einer Mönchskutte bestattet werden – genau wie vor ihm Joris Huysmans, Auguste Rodin, Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal. Ihr Bewunderer Cioran bestimmte sein Lebensmotto zur Grabinschrift: »Nicht geboren zu werden ist unbestreitbar die beste Lösung.«
Wenige Frauen können dem beipflichten, aber viele Männer. Wir, die wir in Beuron in marternder Haltung und selbstgewähltem Schweigen saßen, überhaupt alle Meditierenden und nach
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