Ungleiche Paare
Energie geschieht von allein. Von hier unten, von der Basis, Station für Station nach oben. Besser, es geht behutsam vor sich, als plötzlich. Dass die Energie hier oben ankommt«, er tippte sich auf den kahlen Schädel, »ist die Voraussetzung für das, was im Zen Satori genannt wird. Für die Erleuchtungserfahrung.«
»Dann kann man durch Sex nicht erleuchtet werden?«, erkundigte sich Björn.
»Auf keinen Fall!«, rügte ich. Und, nur für ihn hörbar: »Jedenfalls nicht hier im Haus.«
»Ihr wisst vielleicht, dass die Tantriker dafür Techniken entwickelt haben«, vermutete der Pater. »Aber darum geht es uns nicht. Wir meditieren. Wir machen kein Tantra. Im Tantra stellt sich der Mönch vor, das männliche Geschlechtsorgan sauge Energie ein.«
Wir taten extrem unbeteiligt. Wachsames Desinteresse, hieß die Formel.
»So ungefähr, als atme er durch den Penis Licht ein und als ströme das Licht von dort unten nach oben. Wenn er es richtig macht, der tantrische Mönch, dann soll ein Chakra nach dem anderen aufblühen. Er erlebt keine Ejakulation, aber eine Flut von Licht.«
»Der Samenerguss findet überm Schädel statt«, folgerte Björn.
»Ich glaube nicht, dass die christlichen Heiligen sich damit beschäftigt haben«, flocht ich fromm ein.
»Das mussten sie auch nicht«, schloss Pater Felix in einer Anwandlung von Müdigkeit. Das Thema war erledigtfür ihn. Schon lange. »Die Heiligen haben meditiert, wo immer sie waren. Jede ihrer Tätigkeiten war Meditation. Und wenn das so ist, dann geschieht alles wie von selbst. Die Energetisierung. Die Transformation. Die Erleuchtung. Dann benötigt man keine Techniken.«
»Genau«, nickte ich.
Wir glaubten das keineswegs. Wir hatten mittlerweile so emsig meditiert, dass wir starkes Mitgefühl entwickelt hatten für Mönche, bei denen die Transformation partout nicht klappen wollte. Mitgefühl auch für die, die sich gar nicht erst um Transformation bemüht hatten. Oder bei denen sie in gegensätzlicher Richtung verlaufen war, vom Scheitelchakra abwärts zur Kernkraft der Lust. Unsere heimliche Bewunderung, genährt von einem ledergebundenen Buch im verglasten Schrank, galt jenen unbekümmerten Päpsten, die ihre Söhne zu Bischöfen gemacht hatten oder gleich zu Nachfolgern auf dem Heiligen Stuhl. Sie hatten ein lustvolles Leben mit dynastischer Vorsorge verbunden. Warum auch nicht?
Der Papst Alexander Borgia hatte in einer Enzyklika bekannt gegeben, was er unter gutem Gottesdienst verstand: »die genießerische Ausübung des Beischlafes, wohltätiges Speisen und erholsames Ruhen«. Das klang lebensnah und zuversichtlich. Sollte es heute verkehrt sein? Alfred Hitchcock, der das Leben jenes frohen Renaissance-Papstes verfilmen wollte, hielt das Zitat für typisch männlich. Deshalb gefiel es ihm. Er übersetzte es in den angelsächsischen Realismus: »Ein Mann will guten Sex, gutes Essen und in Ruhe gelassen werden.«
Falsch klang das jedenfalls nicht.
Auf zum praktischen Chakra-Test! An einem späten Apriltag nahm ich das Hutzelhäuschen in Besitz. An seiner Rückseite stieg der buchenbestandene Nordhang des Tals auf, zu dieser Zeit ein luftiger Saal mit dem Weiß der Märzenbecher im Laubteppich und mit Knäueln von Veilchen. Gen Süden ging der Blick über einen Wanderweg und die Uferwiese zur blitzenden Donau. Jenseits lag das schmale Ende der eingezäunten klösterlichen Obstplantage mit knospenden Kirschbäumen; die letzte Baumreihe stand schon im Schatten des Eisenbahndamms. Hinter ihm schwangen sich gepflügte Felder und frühlingsbleiche Wiesen hinauf zum Hangwald der gegenüberliegenden Talseite. Alles war weiträumiger hier als am schattigen Zen-Haus. Nur der Weg zur Abteikirche war kürzer, fachkundigen Mönchen auch bekannt als Weg zur Bäckerei.
Zwei Weizenvollkornbrote des Zen-Hauses hatte ich von der vegetarisch kochenden Großmutter mitbekommen. Ich war mit dem Versprechen geschieden, jeweils am Freitag zwei neue Exemplare abzuholen und bei dieser Gelegenheit dem Zen-Pater über den Fortgang meiner Meditation Bericht zu erstatten. Im Übrigen wollte ich fasten, also vornehmlich Brot kauen und Wasser trinken. So hatte ich es dargestellt, und zunächst hielt mich auch daran.
Das Haus war eremitenfreundlich möbliert: Bett, Schrank, Tisch, Stuhl. Es gab ein enges Bad mit Dusche und Klo. Hinter einem stockig riechenden Vorhang kamen eine Spüle und ein Kühlschrank zum Vorschein, daneben zwei Kochplatten und ein Wasserkocher für Tee.
Zu
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