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Unguad

Unguad

Titel: Unguad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Werner
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kürzeren
Einheiten bewältigen. Schwester Marion hatte mir einmal ihr Herz ausgeschüttet.
Früher hatten sie sich noch manchmal zu einem Ratsch dazusetzen oder sich die
Sorgen anhören können. Jetzt war dafür kein Platz mehr im straffen Zeitkorsett.
    Also wanderte ich ein wenig den Gang entlang. Die Türen zu einigen
Zimmern standen offen. Die Bewohner schienen auf Privatsphäre keinen Wert mehr
zu legen. Sie waren schon so in ihrem von der Welt abgewandten Körper gefangen,
dass sie keine Tür schließen mussten, um allein zu sein. Aber ich will Sie
nicht deprimieren. Suchen wir also weiter nach einem Gesprächspartner.
    Im Vorbeigehen nahm ich wahr, dass die Abstellkammer versiegelt war.
Natürlich. Als Tatort. Polizisten waren nicht zu sehen. Dafür rollte gerade
Herr Szabó aus seinem Zimmer. Er stammte aus dem Grenzgebiet von Ex-Jugoslawien
zu Ungarn und konnte auch Ungarisch. Das gefiel meinem Vater natürlich, und sie
hatten sich angefreundet. Jetzt rangierte er mit seinem Rollstuhl, um seine Tür
schließen zu können. Ich sprang hin: »Lassen Sie sich helfen, Herr Szabó.«
    Er blickte erschrocken auf, erkannte mich und ein schalkhafter
Ausdruck erschien auf seinem knubbeligen Gesicht. » Hogy
vagy, Szabóné ?« Er amüsierte sich jedes Mal darüber, dass unsere
Nachnamen dasselbe bedeuteten. Szabó heißt auf Deutsch Schneider.
    » Jól vagyok . Aber Sie wissen doch, dass
ich kein Ungarisch spreche, Herr Szabó.«
    »Verbrechen ist das! Warum hat dein Vater es dir nicht beigebracht,
Ungarisch? Ich schimpfe ihn, jedes Mal, wenn ich ihn treffe.« Ich kapitulierte.
Dieses Gespräch hatten wir schätzungsweise schon einhundertneununddreißig Mal.
Allerdings sprach ich auch kein Italienisch, obwohl meine Mutter italienische
Wurzeln hatte. In meiner Kindheit war es nicht üblich gewesen, mehrsprachig
aufzuwachsen.
    »Genug davon. Plaudern wir ein wenig. Dort ist eine schöne Bank für
dich. Setz dich. Setz dich.«
    Herr Szabó ließ einem grundsätzlich keine große Wahl. Immer, wenn er
mich entdeckte, wurde ich zu einem Plausch zwangsverpflichtet. Heute machte es
mir nichts aus. Ich wollte mit so vielen Menschen wie möglich über Elvira
reden. Vielleicht konnte ich so etwas Interessantes in Erfahrung bringen. Also
ließ ich mich bereitwillig auf der gepolsterten Holzbank in einer Nische des
Ganges nieder. Links daneben reckte ein Gummibaum seine leicht verstaubten
Blätter in die Höhe, auf der rechten Seite stand eine Voliere mit drei
Wellensittichen. Eins der Projekte im Haus Sonnenhügel. Die fröhlich-bunten
Tierchen sollten die Bewohner zur Interaktion anregen. Allerdings hatte ich
noch nie gesehen, dass jemand vor dem Käfig gestanden wäre und mit ihnen
geredet hätte. Nun ja, ich mag keine Vögel. Ich rutschte näher an den Gummibaum.
    »Erzähle mir, Karin, wie hat Elvira ausgesehen? Du hast sie
gefunden. So eine Unglück am Geburtstag deine Vater! Woran ist sie gestorben?«
Herr Szabó wollte wie immer alles ganz genau wissen. Er hatte seinen Rollstuhl
nahe an die Bank geschoben und beugte sich nun neugierig nach vorne. Seine Füße
in den grauen Filzpantoffeln, die auf den Fußbrettern des Rollis standen,
stießen an meine Schienbeine. Er bemerkte es offensichtlich nicht. Ich rückte
noch weiter zum Gummibaum. Die Spitzen der dickfleischigen Blätter stachen in
meine Kopfhaut. Ich bemühte mich, das unangenehme Gefühl zu ignorieren, und
starrte geradeaus auf Herrn Szabós Bauch, der sich unter der braunen
Strickjacke wölbte. Ein Knopf fehlte, der Faden hing vorwurfsvoll aus dem
leeren Knopfloch. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Mit Bedacht wählte
ich meine Worte, wollte so wenig wie möglich über die Umstände verraten. Man
konnte ja nie wissen!
    »Sind Sie denn traurig, dass Elvira nicht mehr da ist?«
    »Traurig? Noh, traurig bin ich nicht. Elvira war kein gute Pfleger.
Hat sich nur immer gedruckt. Letzte Woche sie hat mir durch die Gang zum – izé – zum Badezimmer geschoben. Da ist Kerstin gekommen,
und Elvira hat gefragt, ob sie – izé – ob sie Lust
hat. Sie meint, mich baden. Hat gehofft, dass die Kerstin mir übernimmt. Und
dass ich es nicht mitbekomme. Pimasz! Ich hab aber am
Blick von Kerstin gesehen. Gute Kerstin hat dann gesagt, man muss auch machen,
wenn man keine Lust hat, und ist in die Stube gegangen. Elvira hat – izé – hat gegronzt oder wie sagt man?«
    »Gegrunzt«, schob ich schmunzelnd ein.
    » Igen . Der hab ich gezeigt! Ich hab nicht
geholfen, mich

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