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Unguad

Unguad

Titel: Unguad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Werner
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einen Blick in den Raum. Sie hatte sich an den
Tisch mit der seltsamen Alten gesetzt, deren einziges Interesse ihre blonde
Plastikpuppe war, die sie ohne Unterlass kämmte. »Meine« seltsame Alte beugte
sich demonstrativ über einen Versandhauskatalog und ignorierte mich. Einen
Augenblick lang nahm ich das sonstige Geschehen wahr: das Volksmusik blökende
Radio, drei alte Leute, die sich beim Mensch-ärgere-Dich-nicht leidenschaftslos
stritten, Kerstin, die versuchte zu schlichten und dabei das Austeilen des
Mittagessens vorbereitete. Ja, es war schon wieder Essenszeit. Ein ungünstiger
Zeitpunkt, um meine Befragung fortzusetzen. Danach das kollektive
Mittagsschläfchen. Ich würde später oder morgen wiederkommen müssen.
    Auf meinem Weg nach draußen begegnete mir wieder die
Heimleiterin, Frau Imhoff. Inzwischen hatte sie ihren aufgelösten Zustand in
Ordnung gebracht. Jetzt war sie wie immer akkurat gekleidet, wie immer in Eile.
Sie nickte mir knapp zu, ihre dünnen Lippen zu einem verkniffenen Lächeln
verzogen, und weg war sie. Ich schaute ihr nachdenklich hinterher. Mit ihr
musste ich auch einmal reden. Nur waren mir auf die Schnelle nicht gleich die
richtigen Worte eingefallen. Da musste ich mich gründlicher vorbereiten. Das
Klackern ihrer Stöckelschuhe verhallte.
    Ich stemmte die mächtige Eingangstür auf. Es war mit ziemlicher
Sicherheit nicht notwendig, sie abzusperren. Sie war zu schwer, als dass alte
Menschen sie ohne Hilfe öffnen könnten. Draußen war es sommerlich warm.
    Vierzehn Uhr
    Frau von Hohenstein hatte zum Tee gebeten. Tibor und Magdalena
von Markovics waren der Einladung nachgekommen. Adel unter sich. Auch wenn der
eine Teil nur verarmter ungarischer Landadel war, nach Deutschland geflohen.
Frau von Hohenstein hatte in ihren vierundsiebzig Lebensjahren gelernt,
Abstriche zu machen. Sie war nicht mehr so betucht wie früher, sonst würde sie
nicht hier im Rottal in einem Seniorenheim wohnen, sondern an der Côte d’Azur.
Man musste das Beste daraus machen, war ihre Devise. Und Contenance zeigen.
    Auch Heidemarie Wieland und Bärbel Lehner waren dazugebeten worden.
Die Damen halfen beide ehrenamtlich im Altersheim mit, wobei Frau von
Hohenstein eine besondere Beziehung zu Frau Lehner hatte. Zwar hatte sie es nie
explizit ausgesprochen, aber sie ordnete Frau Lehner als ihre persönliche
Gesellschafterin ein.
    Die Gastgeberin residierte an der Stirnseite ihres
Biedermeiertisches. Die gute Spitzendecke war aufgelegt und das Meißner
Porzellan aus der Vitrine geholt worden. Die silbernen Teelöffel glänzten
frisch poliert neben den Tassen. Frau von Hohenstein hatte sich ein paar ihrer
Lieblingsstücke in ihr Zimmer stellen lassen. Die restlichen Möbel warteten
eingelagert auf bessere Zeiten. Ihr Bereich in der Seniorenresidenz war nicht
geräumig genug für all ihre Schätze. Ihr früherer Haushalt war von
beeindruckender Größe gewesen. Trotzdem verbreiteten die Mahagonimöbel, die
schweren rauchblauen Chintzvorhänge und die dunkelgrünen Topfpflanzen einen
Hauch von Noblesse. Die betagten Herrschaften fühlten sich in dieser Kulisse
sichtlich wohl.
    Nach floskelhaften Einleitungen war Gesprächsthema – wie sollte es
auch anders sein – der Tod von Elvira. Wobei Frau von Hohenstein ganz
selbstverständlich davon ausging, dass es sich dabei um Mord handelte.
    »Ich bin entsetzt, dass so ein Verbrechen im Sonnenhügel überhaupt
möglich ist! Un-denk-bar! Lieber Tibor, was sagen Sie dazu! Elvira war zwar
wirklich nicht das Idealbild einer guten Pflegekraft, aber sie gleich zu
ermorden? Das geht zu weit! Wer weiß, ob man hier selbst noch sicher ist!
Vielleicht treibt ein Serienmörder sein Unwesen?! Ich werde auf jeden Fall auch
meine letzten Schmuckstücke in mein Bankschließfach geben. Das wäre es nicht
wert, dafür umgebracht zu werden.« Sie betupfte sich mit einem Spitzentaschentuch,
das sie aus ihrem Ärmel gezogen hatte, den Mund. »Diese ganze Aufregung, diese
Sorgen! Das alles bekommt mir nicht.« Ihre mageren Wangen glühten.
    »Liebe Ilselore, ich denke nicht, dass Ihr Schmuck oder Sie selbst
in Gefahr sind. Dieser Mord, wenn es denn einer war, betraf nur Elvira. Es wird
kein weiteres Verbrechen geben.«
    Tibor nahm einen Schluck aus der Teetasse, den er sogleich bereute.
Frau von Hohenstein bevorzugte starken Earl Grey, er konnte Bergamotte nicht
ausstehen. Ein schneller Seitenblick auf seine Frau zeigte ihm, dass Magdalena
mit ihren Gedanken wieder ganz woanders war. Das

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