Unguad
versöhnlichen Ton an.
»Was weißt du denn sonst noch von ihr?«
Mein Vater war nicht nachtragend, eine schöne Eigenschaft, fand ich.
»Verheiratet war sie nicht. Blieb lieber für sich. Aber sie hat ein Kind, wie
wir ja letztens erfahren haben.« Tibor machte eine Kunstpause.
»Von wem redet ihr denn?«, wollte meine Mutter wissen. Sie stellte
ihre leere Tasse ab. Liebesverhältnisse, egal ob bestehend oder zukünftig,
fielen in eines ihrer wenigen Interessensgebiete.
»Von Heidemarie Wieland.«
»Oh ja. Verheiratet war sie nie. Aber ein Kind hat sie bekommen.«
Triumphierend blickte sie in die Runde. Endlich wollte sie auch mal mit Wissen
brillieren.
»Aha.«
»Leider hat sie das Baby in ein Heim gegeben.« Magdalenas braune
Augen bekamen einen traurigen Ausdruck. »Sie wollte ihn nicht. Sie mochte wohl
auch den Vater nicht wirklich. War nur eine kurze Liaison. Und der Bub hat dem
Vater so gleich geschaut, hat sie gesagt. Hässlich, mit roten Haaren. Auf jeden
Fall ist er später bei fremden Leuten aufgewachsen.«
Meine Mutter hatte ein Faible für Familiengeschichten. Die konnte
sie sich erstaunlicherweise bis in alle Einzelheiten merken. Ihr selektives
Gedächtnis überraschte mich immer wieder.
Magdalenas Augen fingen zu glänzen an. Sie strahlte übers ganze
Gesicht. »Ja. Und ihr kennt ihn auch! Den Sohn.« Sie gluckste fröhlich.
»Wer ist es?« Nun waren wir aber gespannt.
»Der Hecker Adam.«
»Das weißt du?« Mein Vater sah mich bass erstaunt an. Damit hatte
auch ich am allerwenigsten gerechnet.
»Natürlich. Sie hat es mir erzählt.« Stolz führte sie weiter aus:
»Es war die Sensation für sie, als sie ihren Sohn hier bei uns gesehen hat. Sie
wusste es, sobald sie ihn erblickt hat. Er schaut nämlich dem Vater wie aus dem
Gesicht geschnitten ähnlich. Sie hat ihn ausgefragt, und er hat ihr vom
Kinderheim und den Pflegeeltern erzählt. Da war es klar.« Magdalena war mit
dieser Entwicklung zufrieden.
»Aber ich habe die beiden nie miteinander gesehen. Wieso sind sie
nie damit herausgerückt? Haben sie ihr Verwandtschaftsverhältnis verheimlicht?
Und warum weißt du davon?« Vielleicht konnte meine Mutter auch noch dieses
Rätsel aufklären.
Magdalena schaute mich ratlos an.
»Was haben sie zu verbergen?«, legte ich nach.
»Karin, weshalb musst du immer gleich so schlecht von allen denken?«
»Ich denke nicht von allen schlecht, Mama, sondern nur von denen,
die es verdienen. Und der Hecker verdient es«, sagte ich bestimmt.
»Ganz recht«, schaltete sich jetzt auch mein Vater ein. »Da hat sie
ja ein sauberes Früchtchen auf die Welt gebracht.«
»So schlimm ist er nicht.«
Ich verdrehte die Augen ob dieser Untertreibung. Diese ungezogene
Geste missfiel meiner Mutter.
»Nein, Karin. Es ist schön, dass sie sich hier gefunden haben. Sie
liest den Leuten vor und geht ihm manchmal mit den Spritzen zur Hand.«
»Was macht sie?!«
»Na, wenn ihr Adam viel zu tun hat, gibt sie den Bewohnern, denen
sie vorliest, die Spritze.«
»Woher weißt du das?«
»Na, ich kam einmal zufällig dazu. Da hat sie es mir erklärt und mir
darüber hinaus auch ihre traurige Geschichte erzählt.«
Ich schaute entrüstet meinen Vater an. »Ja, das wollte ich dir noch
erzählen, Karin. Magdalena hat vorgestern schon angedeutet, dass Heidemarie
spritzt. Das kommt mir seltsam vor.«
»Dem muss ich auf den Grund gehen. Wen spritzt sie denn?«, wollte
ich von meiner Mutter erfahren.
»Nun, Leute. Das ist ganz harmlos.« Sie wusste nicht mehr.
»Nein, ganz so harmlos ist das nicht. Da muss man schon wissen, was
man wem spritzt«, hielt ich entgegen. »Ich frage am besten Schwester
Sieglinde.«
»Nein, Karin, tu das nicht. Ich will nicht, dass Heidemarie
Schwierigkeiten bekommt, weil ich etwas ausgeplaudert habe.« Ihr Gesicht war
vor Schreck ganz blass geworden, und sie tastete zur Beruhigung nach ihrer
Brosche.
Ich legte ihr eine Hand auf den Arm. »Mama, reg dich nicht auf. Ich
mach das schon richtig.« Ich erhob mich. »So, nun muss ich gehen. Passt auf
euch auf! Bis morgen.«
»Bis morgen, Karin, und Bussis für die Kinder.«
»Ja, Mama.«
Zehn Uhr fünfundvierzig
Kaum war ich aus der Tür, lief mir schon Schwester Sieglinde
über den Weg. Ich hielt sie auf.
»Schwester, einen Augenblick bitte.«
»Ja?« Etwas gehetzt wirkend blieb sie stehen.
»Kann es sein, dass Heidemarie Wieland den Leuten hier Spritzen
geben darf?«
»Nein, auf keinen Fall. Wie kommen Sie denn darauf?«
»Meine Mutter
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