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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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denen eine Aktion gründlich schiefgelaufen
war, weil sich irgendein Funkgerät im allerungünstigsten aller nur denkbaren
Augenblicke gemeldet hatte, füllten wahrscheinlich ganze Aktenordner.
    Sie kämpfte ihren Ärger nieder – der vermutlich ohnehin nur ein
Ausdruck von Stress war –, sah auf die Uhr, Viertel vor neun; bis sie unten
war, blieben ihr noch zehn Minuten. Hastig verließ sie die Wohnung und trat in
den Lift.
    Es war sehr still im Haus. Niemand begegnete ihr, weder als sie aus
dem Aufzug trat noch auf dem Weg nach draußen, aber es war auch nicht zu still: aus zwei offen stehenden Fenstern im Erdgeschoss
drang laute Musik, irgendwo weinte ein Baby, und aus einem der oberen
Stockwerke konnte man den lautstarken Streit eines Paares hören, bei dem
offensichtlich wortwörtlich die Fetzen flogen. Conny konnte nicht sagen, wie
viel davon echt und wie viel von Trausch und seiner Truppe in Szene gesetzt
war. Jedenfalls wirkte esüberzeugend,
und darauf kam es an. Wenn Vlad nicht tatsächlich über übersinnliche Kräfte
verfügte, würde er die Falle niemals wittern.
    Ohne sichtbare Hast umrundete sie das Haus und näherte sich dem, was
sie am Telefon so hochtrabend als Kinderspielplatz bezeichnet hatte; übrigens dasselbe Wort, mit dem ihr der Makler damals diesen
bewohnbaren Schuhkarton schmackhaft zu machen versucht hatte. In Wahrheit war
es nichts als ein jämmerlich vergessenes Fleckchen am jenseitigen Ende des kaum
weniger jämmerlichen Gartens, den die Hausverwaltung Park nannte: eine Handvoll
ärmlicher Spielgeräte, die seit Jahren unbenutzt vor sich hin rosteten, ein
zwei mal zwei Meter messender Sandkasten, der seit mindestens genauso vielen
Jahren zum Hunde- und Katzenklo verkommen war, und eine Sitzgruppe aus
zurechtgeschnittenen Baumscheiben, die nicht so aussah, als könne man ihr das
Gewicht eines erwachsenen Menschen anvertrauen. Das Ganze war irgendwann einmal
sicher gut gemeint gewesen, doch die dazugehörigen Kinder waren schon vor
Jahren größer geworden und weggeblieben, und vermutlich hatte die
Hausverwaltung aus Kostengründen darauf verzichtet, die Anlage abzureißen, und lieber
in Kauf genommen, dass sie sich allmählich zum Schandfleck entwickelt hatte …
    Oder sich irgendwann ein Besucherkind hierher verirrte und sich
wirklich ernsthaft verletzte, fügte sie missmutig in Gedanken hinzu, während
sie sich in den kümmerlichen Windschatten eines hölzernen Klettergerüsts duckte
und die Zähne zusammenbiss, damit sie nicht zu klappern begannen. Irgendwann
würde sich dieses ganze Land zu Tode sparen; wenn es nicht schon passiert war
und es nur noch niemand wirklich gemerkt hatte. Wenn es so weit war, dann würde
sich bestimmt auch dafür ein Schuldiger finden.
    Ein leises Knacken in ihrem Ohr hinderte sie nicht nur daran, die
Lösung für sämtliche Probleme dieses Landes seit der Wiedervereinigung zu
finden, sondern riss sie auch schmerzhaft in die Wirklichkeit zurück, und das
wortwörtlich. Sie hatte den verdammten Ohrstecker viel zu tief hineingeschoben,
sodass Trauschs verzerrte Stimme unmittelbar an ihrem Trommelfell gellte. Es
tat weh. »Bisher keine Spur von ihm.«
    Das habe ich auch schon gemerkt , dachte
sie übellaunig, während sie mit dem kleinen Finger im Ohr pulte und versuchte,
den Funkempfänger ein bisschen weiter herauszuziehen. Natürlich erreichte sie
damit das genaue Gegenteil – jetzt tat es schon weh,
wenn er nichts sagte. Hoffentlich bekam sie das verdammte Ding wieder heraus,
ohne sich auf einen Operationstisch legen zu müssen. Sie verzichtete darauf, zu
antworten.
    Conny zog die Aufschläge der viel zu dünnen Jacke enger um den Hals
zusammen, als eine neue, noch eisigerer Böe sie noch weiter in den Windschatten
der Kletterburg zurücktrieb und sie nun tatsächlich mit den Zähnen klappern
ließ, und sie verfluchte sich nicht zum ersten Mal selbst in Gedanken dafür,
nicht auf die Stimme ihrer Vernunft gehört und etwas Wärmeres angezogen zu
haben. Es war den ganzen Tag über schon viel zu kalt für die Jahreszeit
gewesen, und jetzt, nach Dunkelwerden, schienen die Temperaturen ins Bodenlose
gefallen zu sein. Sie fror erbärmlich.
    Â»Wir warten eine halbe Stunde«, brüllte Trauschs Stimme in ihrem
Ohr. »Verhalten Sie sich unauffällig.«
    Und wie, bitte schön, sollte sie das tun, wenn sie

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