Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
letzte Mal mit deiner Freundin gesprochen?«,
fragte Vlad, statt ihre Frage direkt zu beantworten.
    Â»Mit meiner Freundin? Wen …«
    Â»Du solltest dich um sie kümmern«, fuhr Vlad fort. »Wenn sie meine
Freundin wäre, dann würde ich anfangen, mir allmählich Sorgen um sie zu machen.
Vor allem nach dem schweren Verlust, den sie erlitten hat.«
    Â»Sylvia?«
    Â»Sie trinkt zu viel«, bestätigte Vlad. »Gut, das ist ihr Problem –
aber sind Freunde nicht dazu da, sich zu helfen und sich gegenseitig zu
beschützen? Wenn es sein muss, auch vor sich selbst?«
    Â»Sylvia?«, fragte Conny noch einmal. »Was ist mit ihr?«
    Â»Geh zu ihr und sprich mit ihr«, wiederholte Vlad. »Rede mit ihr
über ihre Tochter. Wer weiß, vielleicht erlebst du ja eine Überraschung.«
    Â»Inwiefern?«
    Â»Sagen wir: Deine Kollegen waren nicht besonders gründlich, als sie
sich das Leben des bedauernswerten Mädchens angesehen haben«, antwortete Vlad
geheimnisvoll. »Geh und sprich mit ihr. Selbst wenn nichts anderes dabei
herauskommt, wird es ihr guttun, eine Schulter zu haben, an der sie sich
ausweinen kann. Ich melde mich später noch einmal.«
    Â»Warte!«, sagte Conny hastig. »Ich meine, warten Sie … bitte.«
    Zwei oder drei Sekunden lang herrschte so vollkommenes Schweigen am
anderen Ende der Verbindung, dass sie beinahe sicher war, dass er bereits
aufgelegt hatte. Dann fragte er:
    Â»Ja?«
    Â»Ich … wir müssen uns sehen«, sagte sie nervös. »Ich möchte mit Ihnen
sprechen. Aber nicht am Telefon. Wann können wir uns sehen?«
    Â»Sehen?« Sie war nicht sicher, ob seine Stimme spöttisch klang oder
jetzt eindeutig misstrauisch. »Wozu?«
    Â»Ich … ich bin nicht sicher«, antwortete sie unbeholfen. Etwas wie
Panik begann sich in ihr breitzumachen. Sie war sicher, dass sie zu weit
gegangen war.
    Â»Du bist nicht sicher, warum du mich sehen willst?«
    Â»Nein«, antwortete Conny überhastet. »Ich meine: doch. Ich bin …« Sie
atmete hörbar ein, zwang zumindest den Anschein von Ruhe in ihre Stimme und
setzte neu an: »Ich bin nicht sicher, was ich von Ihnen halten soll. Sie
behaupten zwar, auf meiner Seite zu stehen, aber ich bin nicht wirklich
überzeugt davon. Ehrlich gesagt, habe ich bisher nur Probleme, seit Sie
angefangen haben, mir zu helfen. Wir müssen reden. Aber nicht am Telefon.«
    Â»Das verletzt mich jetzt wirklich«, sagte Vlad spöttisch. Dann
lachte er. »Aber warum nicht? Das wäre zumindest eine Abwechslung … wenn du dich
freust, mich zu sehen, meine ich. Sagen wir … in einer Stunde, in der
Tiefgarage?«
    Conny sah auf die Uhr und schüttelte zugleich fast hastig den Kopf
»Lieber nicht. Ich habe … schlechte Erfahrungen mit Parkhäusern und Tiefgaragen.
Treffen wir uns später. Heute Abend. Um neun, draußen im Park. Sie wissen, wo
der Kinderspielplatz ist?«
    Â»Nein. Aber ich finde ihn, keine Sorge. Und grüß deine Kollegen von
mir.«
    Er hängte ein. Diesmal hörte Conny das leise Klicken ganz deutlich.
Zwei, drei Sekunden lang starrte sie den Apparat in ihrer Hand noch beinahe
ratlos an, doch dann drückte sie die Tastenkombination, die Trausch ihr gezeigt
hatte.
    Immerhin hatte sie jetzt einen Grund, ihn anzurufen.

Kapitel 9
    Draußen vor
den Fenstern des großen, viel zu leeren Zimmers hatte es vor einer guten halben
Stunde dunkel zu werden begonnen, aber sie hatte bisher kein Licht
eingeschaltet, sodass die Schatten ungehindert vorrücken konnten, bis in der
ganzen Wohnung eine sonderbare Art von Zwielicht herrschte; keine wirkliche
Dämmerung, sondern eine ihr bisher vollkommen unbekannte Art trüben Halblichts,
das große Teile der Wirklichkeit einfach auszulassen schien und Lücken und
Schluchten schuf, in deren Schutz etwas … anderes heranzuschleichen schien; etwas
ebenso Namen- wie Gestaltloses, das auf dieser Seite der Wirklichkeit nichts zu
suchen hatte.
    Conny versuchte den Gedanken dorthin zurückzuscheuchen, wo er
hergekommen war, ohne dass es ihr wirklich gelang. Vielleicht wollte sie es
auch gar nicht, tief in sich drinnen. Absurde Gedanken wie diese passten zu der
Stimmung, in der sie sich im Grunde bereits seit ihrer Rückkehr aus der
Pathologie befand.
    Nicht, dass sie auch nur selbst hätte sagen können, welche Art von Stimmung es

Weitere Kostenlose Bücher