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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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»Anscheinend hat sie seit einer Weile nur noch solche Bücher gelesen.
Jedenfalls sind es die einzigen neuen Bücher, die es hier gibt.«
    Â»Und was willst du damit sagen?«, fragte Sylvia. Jetzt machte sie
sich nicht einmal mehr die Mühe, gegen den feindseligen Ton in ihrer Stimme
anzukämpfen. »Dass sie verrückt war?«
    Â»Natürlich nicht«, sagte Conny rasch. »In dem Alter ist es ganz
normal, sich mit solchen Themen zu beschäftigen. Sogar mich interessiert es
manchmal. Aber ich habe irgendwie das Gefühl, sie hat nichts anderes mehr
gelesen.«
    Sylvias Augen blieben kalt. »Und?«
    Â»Ich weiß nicht, was das bedeutet«, gestand Conny. »Es ist mir nur
aufgefallen.« Aber es bedeutete etwas. Irgendwo in ihr begann eine Saite zu
schwingen, als hätte sie an eine Erinnerung gerührt, der sie bisher noch nicht
genug Bedeutung zugemessen hatte.
    Sie wartete ein paar Sekunden vergebens auf irgendeine Reaktion, zog
die entsprechenden Bände schließlich wieder heraus und fragte: »Hast du etwas
dagegen, wenn ich sie mitnehme? Du bekommst sie natürlich zurück.«
    Â»Bedien dich«, fauchte Sylvia. »Nimm alles mit, was dir gefällt. Ich
kann dich ja sowieso nicht davon abhalten, weiter in ihrem Leben herumzuwühlen,
oder?«
    Ihre Worte waren unfair und ungerecht und unsachlich, und sie hatten
keinen anderen Sinn als den, ihr wehzutun, doch obwohl Conny all das wusste,
erfüllten sie ihren Zweck. Für einen kurzen Moment so gut, dass sie um ein Haar
auf dem Absatz kehrtgemacht hätte und ohne ein weiteres Wort gegangen wäre.
Aber damit hätte sie Sylvia keinen Gefallen getan, und Lea noch sehr viel
weniger. So machte sie nur ein bedauerndes Gesicht, stapelte die Bücher
aufeinander und klemmte sie sich unter den linken Arm. »Du bekommst sie
zurück«, versprach sie. »Wenn du möchtest, gleich morgen.«
    Â»Wenn das bedeutet, dass du morgen wiederkommst, dann lass dir ruhig
Zeit«, antwortete Sylvia. Plötzlich fiel es Conny trotz allem schwer, nicht
entsprechend darauf zu reagieren, und ihr Lächeln fiel auch deutlich kühler
aus. Aber sie beherrschte sich, auch wenn sie innerlich zutiefst erschrak. Dass
Sylvia Leas Tod bis heute nicht verarbeitet hatte und sich auf einem alles
andere als guten Weg befand, hatte sie gewusst, nicht jedoch, wie schlimm es wirklich um sie stand. Sie würde sich um
sie kümmern müssen. Bald.
    Ohne ein weiteres Wort verließ sie das Zimmer, machte noch einen
kleinen Umweg, um ihre Handtasche zu holen, und war beinahe überrascht, dass
Sylvia sie zur Tür begleitete. Als sie die Wohnung verlassen wollte, fragte
Sylvia: »Ist es wahr, dass er weg ist?«
    Â»Wer?«
    Â»Aisler«, antwortete Sylvia. »Der Kerl, der Lea umgebracht hat. Der
Vampir, oder wie immer ihr ihn nennt. Sie haben es gerade in den Nachrichten
gesagt.«
    Â»Seine Leiche ist verschwunden«, gestand Conny. Warum verspürte sie
bei diesen Worten eigentlich ein heftiges Schuldgefühl? »Aber keine Sorge.
Irgendjemand findet das wahrscheinlich ungeheuer komisch, aber wir finden
heraus, wer es war und warum er es getan hat.«
    Anscheinend stand es mit ihren Nerven wirklich nicht zum
Besten, denn während sie die Treppe wieder hinunterging, hatte sie abermals das
Gefühl, beobachtet zu werden – dabei war das Treppenhaus leer, und die
massiven, uralten Wohnungstüren hatten nicht einmal einen Spion, durch den
hindurch man sie hätte sehen können. Doch das Empfinden, aus unsichtbaren,
lauernden Augen angestarrt und taxiert zu werden, wollte nicht verschwinden.
Conny atmete hörbar auf, als sie endlich aus dem Haus und wieder in den hellen
Sonnenschein hinaustrat.
    Sofort stach das Licht wieder ebenso unangenehm und fast schmerzhaft
wie vorhin in ihre Augen, sodass sie hastig in ihre Handtasche griff und die
Sonnenbrille hervorkramte. Selbst danach kam ihr der Tag noch unnatürlich hell
und auf eine schwer in Worte zu fassende Weise feindselig vor, und die Straße,
die ihr vorhin noch so schmal und fast erdrückend vorgekommen war, schien sie
jetzt mit einem Übermaß an Raum und leerem Platz zu erschlagen. Vielleicht zum
ersten Mal in ihrem Leben verspürte sie das genaue Gegenteil von
Klaustrophobie; eine vollkommen irrationale, dennoch aber kaum zu beherrschende
Angst vor der schieren Weite ringsum. Das Gefühl kam so plötzlich und war

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