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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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habe dem Professor nichts davon gesagt, weil er
sich sowieso wieder aufgeregt hätte und ich dem armen Jungen keine
Schwierigkeiten machen wollte. Eigentlich war er ganz nett.« Der Anteil von
Resignation in ihrer Stimme wurde deutlich größer. »Vielleicht holt er sich ja
noch seine Papiere ab, aber nicht einmal das tun die meisten.«
    Â»Wir können sie ihm vorbeibringen«, schlug Conny vor. »Die Papiere,
meine ich.« Sie streckte die Hand aus, aber die Sekretärin prallte ein winziges
Stückchen und ganz eindeutig erschrocken zurück, und das Misstrauen kehrte in
ihre Augen zurück. Anscheinend wurde ihr allmählich doch klar, dass sie einen
Fehler gemacht hatte.
    Â»Es macht uns nichts aus«, versicherte Trausch. »Die Adresse liegt
sowieso auf unserem Weg … na ja, fast.«
    Â»Und wir geben uns auch nicht als Polizisten zu erkennen«, fügte
Conny hinzu. »Sie wollen doch nicht, dass der Professor davon erfährt und sich
wieder unnötig aufregt, oder?«
    Bei diesem letzten Satz kam sie sich ziemlich heimtückisch vor (und
war es auch), aber er schien zu funktionieren. Levèvres Sekretärin zögerte noch
immer, und Conny konnte regelrecht sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete.
Aber dann erlosch ihr Widerstand auch ebenso sichtbar, und sie schien
regelrecht ein kleines Stück in sich zusammenzusacken.
    Â»Also gut«, seufzte sie. »Ich mache sie rasch fertig. Es dauert nur
eine Minute.«
    Sie verschwand wieder im Büro ihres Chefs, kam aber schon nach
kurzer Zeit zurück – ohne den grünen Aktendeckel – und spannte ein Formular in
ihre altertümliche Kugelkopf-Schreibmaschine ein, das sie aus einer Schublade
nahm, ohne auch nur hinzusehen. Conny sah mit einer Mischung aus Faszination
und Staunen zu, wie ihre Finger so schnell über die Tasten huschten, dass sie
zu verschwommenen Schemen zu werden schienen. Sie brauchte nicht einmal die
angekündigte Minute, um das Formular auszufüllen und in einen grauen
Recycling-Umschlag zustecken, den sie sorgsam zuklebte, bevor sie mit der Hand
eine Adresse daraufkritzelte und Conny über den Tisch hinwegreichte. »Richten
Sie ihm ruhig aus, dass ich ein bisschen enttäuscht bin«, sagte sie, wartete,
bis Conny den Brief eingesteckt hatte, und fügte dann noch hinzu: »Und sagen
Sie ihm, dass hier noch fünfzig Euro Gehalt für ihn liegen. Die muss er sich
schon selbst abholen.«
    Â»Machen wir«, versprach Conny. »Und noch einmal vielen Dank.«
    Und damit gingen sie endgültig. Trausch schwieg, bis sie nahezu den
halben Weg zum Aufzug hinter sich gebracht hatten, aber Conny konnte seine
spöttischen Blicke überdeutlich spüren. »Was?«, fragte sie schließlich scharf.
    Â»Das frage ich Sie«, gab er mit einem nun unverhohlen hämischen
Grienen zurück. »Was war das gerade dort drinnen? Weibliche Solidarität gefolgt
von weiblicher Heimtücke?«
    Â»Wir haben die Adresse, oder?«, gab sie zurück. »Wir hätten auch
eine Stunde verschwenden und darauf warten können, dass ihr reizender Boss sie
zusammenfaltet.«
    Â»Ich verstehe«, sagte Trausch spöttisch. »Eigentlich haben Sie ihr
einen Gefallen getan.
    Das hatte sie wahrscheinlich sogar, aber sie hatte auch absolut
keine Lust, darüber z u
diskutieren. »Sind Sie nicht derjenige, der immerzu predigt, dass das Ergebnis
zählt und sonst nichts?«, fauchte sie.
    Genau genommen hatte er so etwas nie zu ihr gesagt, sondern vertrat
schon allein durch das, was er tat, den gegenteiligen Standpunkt, aber er
machte sich nicht einmal die Mühe, zu widersprechen, sondern grinste sie nur
weiter fröhlich wie ein Schuljunge an, der seine Lieblingslehrerin gerade mit
der Hand in der Zuckerdose ertappt hatte, und Conny schluckte alles herunter,
was ihr noch auf der Zunge lag. Nach dem Wechselbad von Gefühlen, das sie beide
an diesem Tag überstanden hatten, hatte wohl selbst er das Recht, einfach ein
bisschen albern zu sein, um die Anspannung abzubauen.
    Das sonderbare Gefühl, das sie vorhin schon einmal gehabt hatte,
überkam sie erneut und beinahe noch stärker, als sie nebeneinander durch die
fast menschenleeren Korridor gingen. Sie war schon unzählige Male hier gewesen,
und trotzdem hatte sie das Gefühl, diesen Ort zum ersten Mal zu betreten – oder
ihn vielleicht auch nur zum ersten Mal so zu sehen, wie er wirklich

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