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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vertraut. Da war etwas, tief, unendlich
tief in ihr, eine uralte Erinnerung, Millionen Mal älter als sie und aus einer
Zeit stammend, als es so etwas wie ein ich noch nicht
gegeben hatte, das diese Welt kannte und mit dem Brüllen einer aus einem
endlosen Schlaf erwachenden Bestie dorthin zurückwollte, und es war hungrig, so unendlich hungrig.
    Trausch stampfte lautstark durch die nahezu vollkommene Dunkelheit
zum Fenster und zog die Jalousie hoch, und der schreckliche Moment verging so
schnell, wie er gekommen war, als eine Flut von unerwartet grellem Sonnenlicht
hereinströmte und sie blinzeln ließ. Das Licht war so intensiv, dass es beinahe
wehtat. Sie sah eine gute Sekunde lang tatsächlich weniger als zuvor.
    Â»He, Tommy! Besuch für dich!« Die Möchtegern-Stripperin ließ sich
mit einer Bewegung, von der sie hundertprozentig sicher war, dass sie genauso
provozierend gemeint war, wie sie aussah, vor Trausch in die Hocke sinken und
machte sich an etwas zu schaffen, das Conny für ein Bündel schmuddeliger Lumpen
hielt, bis es sich zu bewegen begann und ein vom Schlaf verquollenes Gesicht
daraus auftauchte.
    Â»Was zum Teufel soll der Scheiß?«, erklang eine schlaftrunkene
Stimme. »Ich hab dir gesagt, dass …«
    Â»Thomas Denkert?«, fragte Trausch.
    Mit dem Gesicht, das unter verstrubbeltem schwarzen Haar heraus zu
ihnen hochsah, ging eine erstaunliche Veränderung vor sich; eigentlich sogar in
doppelter Hinsicht, dachte Conny: die eine war, dass sein Besitzer offenbar
ebenso schlagartig erwachte wie seine Freundin gerade draußen an der Tür und
wahrscheinlich auf ebenso unangenehme Art. Die andere war eher subjektiver
Natur. Conny erkannte jetzt, dass das Gesicht des Jungen nicht vom Schlaf
verquollen war, sondern eher ihrem eigenen ähnelte, wie sie es vor ein paar
Tagen im Spiegel gesehen hatte. Seine Augen waren nahezu zugeschwollen, und
unter dem linken Jochbein prangte ein in allen Farben schillernder Bluterguss,
in dem man mit einiger Phantasie noch die Umrisse einer Stiefelspitze erkennen
konnte. Seine Nase war mindestens zweimal gebrochen, und seine nahezu
unverständliche Art zu sprechen resultierte weniger aus dem Umstand, dass er
jäh aus dem Schlaf gerissen worden war, sondern lag wohl eher an seinen
angeschwollenen und dick verschorften Lippen. Der Junge war übel verprügelt
worden.
    Â»Ich frage ja nur, weil das, was ich sehe, nicht besonders viel
Ähnlichkeit mit dem Foto hat, das man uns gezeigt hat«, fuhr Trausch lächelnd
fort.
    Â»Wer, verdammt noch mal …«, begann Denkert, brach dann mitten im Satz
ab und fuhr mit einer wütenden Bewegung zu seiner Freundin herum. Die Decke
rutschte dabei von seinen Schultern, und Conny sah, dass sein nackter
Oberkörper unter dem dünnen Netzshirt einen kaum besseren Anblick bot als sein
Gesicht. Die hübscheste Sammlung von blauen Flecken und Blutergüssen, die sie
seit langer Zeit zu Gesicht bekommen hatte. »Jenny, du blöde Kuh!«, fauchte er.
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst die Bullen aus dem Spiel lassen!«
    Das Mädchen wollte antworten, aber Trausch kam ihr zuvor. »Ihre
Freundin hat nichts damit zu tun, Herr Denkert … und wir ziehen im Allgemeinen
die Bezeichnung Polizisten vor.«
    Denkert funkelte ihn nur trotzig an, aber in seinen Augen stand auch
Angst geschrieben; allerdings eine Furcht, von der Conny zu spüren glaubte,
dass sie nicht ihm galt. »Polizisten, meinetwegen«, nuschelte er. »Was wollt
ihr? Ich hab euch nicht gerufen!«
    Â»Oh, das ist auch nicht nötig«, erwiderte Trausch in so falsch
freundlichem Ton, wie es überhaupt nur ging. »Wenn wir das Gefühl haben, dass
jemand unsere Hilfe braucht, dann kommen wir von ganz alleine.«
    Â»Dann seid ihr hier falsch.« Denkert lehnte sich gegen die Wand in
seinem Rücken und zog die zerschlissene Decke fast bis zum Kinn hoch. »Ich
brauche keine Hilfe.«
    Â»Ja, das sieht man«, sagte Conny spöttisch. »Wer hat Ihnen das
angetan?«
    Â»Niemand hat mir irgendwas angetan«, behauptete er störrisch. »Das
war ein Unfall. Meine eigene Blödheit.«
    Â»Ich verstehe«, sagte Trausch. »Sie sind gegen einen Stiefel
gelaufen, nicht wahr? Wie oft? Zehnmal?«
    Â»He, Tommy, sei vernünftig«, sagte Jenny. »Vielleicht ist es
wirklich das Beste, wenn du …«
    Â»Ich weiß schon, was das Beste

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