Unheil
setzte kurz darauf wieder ein. Jemand hatte die CD gewechselt, das war alles.
Bevor sie weiterging, lieà sie sich in die Hocke sinken und
betrachtete aufmerksam das Hindernis, gegen das sie um ein Haar gestoÃen wäre;
Musik und Stimmen hin oder her, es war hier unten nahezu unheimlich leise, und
jeder Laut, der nicht hierher gehörte, musste Aisler ganz zweifellos
alarmieren. Und sie wurde sich plötzlich wieder schmerzhaft des Umstandes
bewusst, dass sie unbewaffnet war â und so ganz nebenbei diesem Kerl körperlich
hoffnungslos unterlegen, wie er ihr bereits zweimal demonstriert hatte.
Es war nichts Gefährlicheres als ein Stein, doppelt so groà wie ihre
Faust und an einem Ende mit etwas Schmierigem und Grünem besudelt, das nicht so
aussah, als würde sie es gerne berühren. Der Anblick brachte sie allerdings auf
eine Idee. Rasch erhob sie sich wieder, drehte sich einmal im Kreis und lieÃ
ihren Blick aufmerksam über den Boden gleiten. Ãberall lagen Unrat und Trümmer,
heruntergefallene Steine und Betonbrocken, aber auch achtlos liegen gelassenes
Werkzeug und mit Rost verkrustete, metallene Dinge, deren ehemalige Bestimmung
nicht mehr zu erkennen war. Conny wählte eine unterarmlange und gut daumendicke
Eisenstange, die an einem Ende gefährlich ausgezackt und verbogen war, wo man
sie offensichtlich grob von einem gröÃeren Stück abgebrochen hatte. Eine
erbärmliche Waffe, aber besser als gar keine. Erst dann setzte sie ihren Weg
fort und näherte sich auf Zehenspitzen der Tür, durch die der gelbe Lichtschein
drang.
Diesmal erwies sich ihre Vorsicht nicht als überflüssig.
Hinter der Tür lag ein quadratischer Raum von vielleicht vier mal
fünf Metern, dessen Boden erstaunlicherweise aus rostigen Eisenplatten bestand.
An den Wänden aus rissigem Beton hingen verrottete Kabelkanäle und schwere,
rostige Streben. So etwas wie eine Decke schien es nicht zu geben. Aus der
Dunkelheit über ihr hing eine Schlaufe aus einem daumendicken, zerfaserten
Stahlseil. Ein Liftschacht.
Der Tür gegenüber, auf einer zu einem niedrigen Tisch umfunktionierten,
umgedrehten Holzkiste stand ein riesiger Gettoblaster, aus dessen Boxen jetzt
ein anderer, nicht minder düsterer Gesang dröhnte: getragene Stimmen, die
versuchten, wie gregorianischer Gesang zu klingen, aber von kreischenden
Heavy-Metal-Gitarren und dumpfen Schlagzeugrhythmen begleitet wurden. Zahllose
Kerzen sorgten für eine helle, unstete Beleuchtung und einen durchdringenden
Brandgeruch in der Luft, und gleich neben der Kiste stand eine Gestalt in einem
schwarzen Kapuzenmantel, die ihr den Rücken zudrehte, sodass sie ihr Gesicht
nicht erkennen konnte. Eine zweite, gleichartig gekleidete Gestalt saà in der
Hocke vor einem der beiden bis auf die Slips entkleideten Mädchen, die auf dem
Boden des Schachtes knieten und nur deshalb noch nicht zusammengebrochen waren,
weil man ihre zusammengebundenen Hände mit Draht an das Stahlseil gefesselt
hatte, das von der Decke hing. Die Köpfe der beiden Mädchen waren gesenkt,
sodass Conny auch ihre Gesichter nicht erkennen konnte, aber sie identifizierte
Tessâ violett gefärbtes Haar. Der Kerl, der vor ihr hockte, hatte ein Messer
gezogen und zeichnete mit der stumpfen Seite der Klinge die Konturen ihrer
Brust nach.
Das Mädchen rührte sich nicht; sie war entweder bewusstlos oder
bereits tot. Ihre Freundin hob jedoch mühsam den Kopf und begann zu schluchzen.
Conny hätte sie wiedererkennen müssen, denn es war ganz eindeutig das Mädchen
aus dem Krankenhaus, Mirjam. Aber etwas in ihr weigerte sich, es zu tun. Ihr
Gesicht war angeschwollen â offensichtlich hatte man sie schwer geschlagen â
und so schmutzig, dass es wie eine grausige schwarze Clownsmaske wirkte.
Tränen, vielleicht auch Blut, hatten schmierige Spuren in der unfreiwilligen Schminke
hinterlassen, und in ihren Augen flackerte die nackte Todesangst. Ganz
offensichtlich hatte sie Schmerzen.
»Nur keine Sorgen, Schätzchen«, zischte der Kerl, der neben dem
Radio stand. »Du kommst auch noch dran. Ihr müsst euch nur noch einen Moment
gedulden.«
Connys Gedanken rasten. Die Stimme war ihr unbekannt â immerhin war
ihr zweifelsfrei klar, dass sie nicht Aisler gehörte â und klang jung; nicht
mehr die eines Kindes, aber auch noch ganz und gar nicht die eines erwachsenen
Mannes. Und obwohl ihr der zweite ebenfalls den
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