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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sondern
eher ein streifiger Schmierer, als wäre jemand in die Blutlache getreten und
achtlos weitergegangen. Vielleicht die Spur des – mit großer Wahrscheinlichkeit
vierbeinigen – Killers, dem die Ratte zum Opfer gefallen war, aber vielleicht
auch etwas anderes.
    Conny folgte ihr. Dem ersten Schmierer folgten ein zweiter, dritter
und vierter, die jedes Mal kleiner und undeutlicher wurden, sodass sie den
letzten Abdruck eigentlich mehr erahnte als wirklich sah; aber sie führten sie
immerhin nicht nur bis zur ersten Abzweigung des ehemalig gläsernen Korridors,
sondern wiesen ihr auch die Richtung, in der die Spur weiterging, nachdem sie
den Bereich des Sichtbaren verlassen hatte. Ohne wirklich darüber nachzudenken,
was sie da tat, wandte sich Conny nach links und blieb erst wieder stehen, als
sie das Ende des Ganges erreicht hatte.
    Und was jetzt?, ertönte eine spöttische,
lautlose Stimme direkt hinter ihrer Stirn. Du bist also der
Spur einer ganz besonders rauflustigen Katze gefolgt, die sich gerade einen
Mausburger organisieren wollte, oder auch eines tollwütigen Hundes, der hinter
der nächsten Tür auf dich lauert und wahrscheinlich alles andere als glücklich
darüber ist, dich in seinem Revier zu begrüßen. Herzlichen Glückwunsch.
    Conny blieb stehen und sah sich ein wenig ratlos um. Ihre Augen
hatten sich mittlerweile an das graue Dämmerlicht gewöhnt, sodass sie immerhin
erkannte, dass sich zu ihrer Rechten kein weiteres Hindernis aus Glas, sondern
eine ganz normale Wand erhob, in der es zwei Türen gab. Beide standen offen,
und hinter beiden wartete nichts als vollkommene Finsternis auf sie.
    Unendlich behutsam streckte sie die Hand aus und tastete über die
Wand hinter der ersten Tür. Sie fühlte uralte, staubtrockene Tapeten, die sich
unter ihrer Berührung zu Staub auflösten, und kurz darauf einen altmodischen
Lichtschalter, den sie kurzerhand umlegte und mit ganz genau dem Ergebnis
belohnt wurde, das sie erwartet hatte, nämlich keinem.
    Frustriert wandte sie sich der zweiten Tür zu und erzielte dasselbe
Ergebnis, nur dass es dahinter dunkel blieb, weil sie erst gar keinen
Lichtschalter fand. Ihre Finger tasteten über etwas, das sich zugleich uralt und
trocken wie klebrig anfühlte und sie mit einem neuerlichen und noch
intensiveren Ekelgefühl erfüllte, aber noch bevor sie angewidert zurückprallen
konnte, hatte sie auch ein plötzliches Gefühl von Weite. Der Raum, der sich in
der Dunkelheit auf der anderen Seite der Tür verbarg, musste sehr groß sein.
Ein sonderbarer Geruch schlug ihr entgegen: Die gleiche Mischung aus Moder und
Verfall und uraltem Staub wie hier, aber auch noch etwas anderes, das eine
Saite in ihr zum Schwingen brachte, ohne dass sie genau sagen konnte, welche.
Nur, dass ihr dieser Geruch auf seltsame Weise das Gefühl verlieh, auf der
richtigen Spur zu sein.
    Dieser Gedanke war vielleicht noch lächerlicher als alle anderen
zuvor, doch wenn sie nicht auf ihre Gefühle gehört hätte, dann wäre sie jetzt
nicht hier und vermutlich nicht einmal mehr am Leben.
    Mit geschlossenen Augen, alle anderen Sinne zum Zerreißen
angespannt, ging sie weiter. Ihre Schritte erzeugten ein lang anhaltendes,
hallendes Echo, und das Gefühl von Weite nahm ebenso zu wie der seltsame
Geruch. Nach sieben oder acht Schritten stießen ihre tastend vorgestreckten
Hände auf Widerstand; eine weitere Tür, die selbst unter dieser flüchtigen
Berührung zitternd zurückschwang. Dahinter wartete nur weitere Dunkelheit auf
sie, aber als sie vorsichtig mit dem Fuß durch die Öffnung tastete, war da nach
einem kurzen Stück nichts mehr. Sie stand am Anfang einer Treppe. Und nun
identifizierte sie auch den Geruch, der sie hierher geführt hatte: Es war der
typische Kellergeruch einer alten Fabrik, Staub und Schimmel und abgestandenes
Wasser, vermischt mit der Ausdünstung alten Öls, faulenden Holzes und Rost.
    Und Blut.
    Conny erschrak beinahe vor ihrem eigenen Gedanken. Das war
lächerlich. Sie war schließlich kein Spürhund, der einer Fährte folgte.
    Aber es blieb dabei: Unter all den – ausnahmslos unangenehmen–
Gerüchen, die ihr aus der schwarzen Tiefe entgegenschlugen, war ein ganz
schwaches, aber unverkennbares Aroma, das etwas tief in ihr anrührte. Es war
Blut; derselbe süßlich-metallische Geruch, der sie zu der toten Ratte geführt
hatte, nur

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